Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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Wanderjahre

Mit dem letzten Brief des ersten Bandes dieses Werks schlossen meine »Lehrjahre«; aber nur auf dem Papier. In Wirklichkeit schließen sie hoffentlich erst mit dem vierten, »Ruhejahre«, den ich nie schreiben werde. Im zweiten lasse ich »Wanderjahre« beginnen. Das ist deutsche Art, die alles hübsch in Fächlein und numerierte Aktendeckel zu ordnen liebt und sich wenig darum kümmert, daß das Leben unsre niedlichen Schulmeisters- und Amtsweisen nicht beachtet, ja nicht einmal kennt. Was aber diese Bände enthalten, ist Leben, hoffe ich, mit all seiner Unordnung, seinem ziellosen Aufundab und Hinundher, wie der geneigte Leser schon längst bemerkt und wohl auch beklagt haben wird.

So mag beispielsweise mancher einwenden: in diesen Lehrjahren werde schon so viel gewandert, daß sie ebensogut Wanderjahre heißen könnten. Deutschland, England, Ägypten und die amerikanischen Nordstaaten sind allerdings eine etwas geräumige Werkstätte für einen Lehrling. Bot aber nicht jeder ihrer vier Winkel immer wieder neuen Stoff zum Lernen in fast überwältigender Fülle? Nun erst kam allmählich die Zeit heran, anzuwenden, was sie mich gelehrt hatten, wenn ich als brauchbarer Geselle mein Brot verdienen wollte und »mein Salz wert war«. Dies ist in unsern Tagen nicht anders als zur Zeit der alten Zünfte, wo noch Zucht und Sitte und eine hohe Obrigkeit jeden Schritt im Leben unsrer Väter vorschrieb.

Manches, was mir in den nächsten Jahrzehnten begegnete, wird der vorliegende Band schildern. Er gibt ein Bild der ruhelosen Arbeit unsrer Tage, die keine örtlichen Grenzen mehr achtet, und vielen für immer ein Wanderleben im buchstäblichen Sinne des Wortes bietet. Oft mag es scheinen, daß ihr das ruhige, feste Ziel fehlt, ohne das kein Erfolg denkbar ist; mancher mag am Schluß auf eine stürmisch bewegte See zurückblicken und sich fragen: wozu all die Bewegung, das Hinundher, das Aufundab? Er mag sich trösten. Jede Welle im Ozean hat ihre Bedeutung. Auch ihre Bewegung ist nötig, das große Ganze lebendig und gesund zu erhalten. Können wir kleineren Wellen mehr von uns verlangen und mehr von dem gewaltigen Elemente, dessen Teile wir sind? Dabei ist die Bewegung unsre Lebensfreude. Das sollte uns genügen.

Verlange auch du, lieber Leser, der du vom Strande das Spiel der Welle betrachtest, nicht mehr von ihr, als daß sie in Sturm und Sonnenschein, manchmal sich überstürzend, manchmal in grünem Lichte schimmernd, ruhelos und geschäftig dem Ufer entgegenrauscht.

1.

London, den 28. Mai 1868.

Warum ich hier bin, statt in Cincinnati oder St. Louis? De Mesnil, den eine wahre Leidenschaft befallen hat, Schiffe und Maschinen zu bestellen, drang auf mein Herüberkommen gerade in dem Augenblick, in welchem mir die Erstlingsfrüchte meiner amerikanischen Arbeiten in den Schoß zu fallen begannen. Auf dem Wege nach Neuyork erhielt ich die Bestellung eines Dampfpflugs für Nebraska. In Neuyork sicherte ich das Patent auf meine Luisianapflüge. Elf Tage später war ich in Liverpool, denselben Abend in London, den folgenden Tag in Leeds. Dort traf mich die Nachricht, daß der Kongreß zu Washington den Dampfpflügen ein weiteres Jahr Zollfreiheit zugestanden hatte.

Und heute abend um fünf Uhr bin ich auf dem Wege nach Brüssel.


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