Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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112.

An Bord der »Para«, zwei Tage vor Plymouth, den 13. März 1878.

Meine letzten Zeilen erhieltet Ihr von St. Thomas, das man fast zu Europa rechnen könnte. Nicht nur erhält man dort wieder tägliche Telegramme aus Konstantinopel oder Warschau, begegnet einem blitzblonden dänischen Kindsmädchen mit roten Armen, und macht die Bekanntschaft eines deutschen Uhrmachers, welcher der erste Meteorologe und Zyklonenverständige Westindiens zu sein glaubt, auch Briefe kommen mit europäischer Regelmäßigkeit an. Eins ins andre gerechnet, können wir uns über die Posten nicht beklagen. Wenn man bedenkt, welche Strecken diese Blättchen, die ein Windhauch vom Tisch bläst, auf eigne Faust durchlaufen, wie sie von Postsack zu Postsack wandern, vom Land zur See, von der See aufs Land, durch Dutzende von fremden Händen, durch Tausende und Tausende von Meilen, bis sie endlich ihren Mann finden, der selbst mittlerweile, beweglich wie Quecksilber, über andre Tausende von Meilen hin und her irrlichteliert, so ist die Sache doch merkwürdig genug. Und dabei so einfach! Denn gar manches, das der Mensch nicht vermag, bringt die Menschheit spielend fertig.

In St. Thomas hatte ich drei Tage lang auf die Abfahrt des Boots für Portoriko zu warten. Ein reizender Winkel der schönen Erde, wenn die Hitze nicht wäre! Aber das ist der Jammer mit all dieser tropischen Pracht. Der Mensch ist nicht imstande, sie zu genießen. Man liegt am Fuß gewaltiger Berge. Jeder Schritt höher hinauf würde das wundervolle Bild der smaragdgrünen Buchten, der Halden und Haine, der Felsgruppen und Bergschlünde nach allen Richtungen glänzender gestalten, aber man bleibt seufzend unten liegen und spielt mit einer bunten Muschel oder wahrscheinlicher noch mit einem Glas Eis.

Doch der »Arno« fängt an zu rauchen. Es ist Zeit, an Bord zu gehen. Abfahrt abends neun Uhr, durch die stille, grüne, mondbeglänzte Bucht. Eine friedliche Nachtfahrt über die schlummernde See. Früh morgens, im Glanz der aufgehenden Sonne die Festungswerke von San Juan, der Hauptstadt von Portoriko. Ein köstliches Bild altspanischer Vergangenheit.

Hier erwartete mich jedoch ein Abenteuer, das erzählt werden muß.

Das Schiff war kaum vor Anker, als ich in gewohnter Weise vergnügt ans Land ruderte; kaum war ich am Land, so saß ich hinter einem Holunderstrauch, harmlos andre Holundersträuche skizzierend, nach meiner Art. Kaum aber hatte ich ein paar Striche gemacht, so fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter – die Hand eines spanischen Soldaten. Ich war arretiert. Meine spanische Beredsamkeit half nichts. Wir marschierten auf die nächste Polizeistation. Kleine Buben schlossen sich uns mit lebhaftem Interesse an. Die Behörden der Polizeistation fühlten sich nicht ermächtigt, den schwierigen Fall zu entscheiden, und bestimmten meine Überführung nach dem Hauptpolizeiamt. Umsonst rief ich nach meinem Konsul. Auch das Hauptpolizeiamt hielt den Fall für zu schwierig. Jetzt begann es mir ernstlich bang zu werden, daß ich die Abfahrt meines Schiffes versäumen könnte; aber mit des Geschickes Mächten war offenbar nicht zu spaßen. Überführung zum General des Geniekorps, dem Gouverneur der Insel. Der Herr war abwesend. Ich hatte die Ehre, stundenlang in seiner Kinderstube auf ihn zu warten. Endlich erschien er, sprach Englisch, und entließ mich in Gnaden. Es war gerade noch Zeit, den abfahrenden Dampfer zu erreichen, auf dem ich von Glückwünschen meiner Schiffsbekannten überschüttet wurde.

Die folgenden acht Tage waren Geschäftsangelegenheiten gewidmet, welche ich Euch, selbst bis zur Unkenntlichkeit verdichtet, kaum erträglich machen könnte. Die Insel mit ihren sanft ansteigenden Uferlandschaften, mit ihren bergigen, waldgekrönten Hintergründen ist so reizend als irgendeine der Antillen und weit gesünder als die meisten. Über die spanische Regierung schimpfen zwar Fremde und Einheimische mit seltener Eintracht. Trotzdem macht namentlich Ponce, wo ich mich mehrere Tage aufzuhalten hatte, den Eindruck einer blühenden Stadt, in der sich leben läßt.

Bei meiner Rückkehr traf ich in St. Thomas die »Para«, dasselbe Schiff, das mich nach Westindien gebracht hat und nun zurückbringen sollte. Es war schon wie eine halbe Heimat, wenn wir vorerst auch noch einen kleinen Abstecher nach Barbados zu machen hatten, dem zuckersüßesten Inselchen dieser Zuckerinselgruppe, vorbei an Martinique und Dominika, die ich noch aus früheren Jahren kenne. Dann erst begann die Reise über das rauschende, öde Weltmeer, das sich noch immer nicht ein Plätzchen in meinem wanderlustigen Herzen erobern konnte, so freundlich es mir das ganze Leben hindurch gedient hat.

Nachschrift.

London, den 15. März 1878. Mr. Fowler hat in aller Frühe einen erfolgreichen Versuch gemacht, mich aufzufinden, während ich mich nach langer Zeit wieder einmal eines nicht schaukelnden Bettes erfreute. Er begrüßte mich mit der Nachricht, daß ich dringend in Paris nötig sei, wo die Vorbereitungen für die Weltausstellung keinen Tag des Aufschubs gestatteten. Nach acht Monaten Bewegung hätten mir ein paar Tage Ruhe wohlgetan. Und dazu das Schrecklichste der Schrecken, wieder eine Weltausstellung! Doch ist nicht auszuweichen. Also morgen nach Leeds, zwei Tage später nach Paris.


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