Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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119.

Paris, den 30. August 1878.

»Die Ausstellung ist wunderschön, aber ich habe sie satt; bis hierher!« Das hört man jetzt täglich, und dabei ziehen die Leute mit dem Finger einen wütenden Strich um den Hals. Gestern hob ein ehrlicher Frankfurter beide Hände einen Fuß hoch über den Kopf, um anzudeuten, daß er ertrunken sei und ihm eigentlich nichts mehr weh tue. Das sind die Leute, die auf vierzehn Tage nach Paris kommen, und denen daran liegt, alles zu sehen und möglichst viel zu lernen. Wenn solches am grünen Holz geschieht, was läßt sich vom dürren erwarten, das über fünf Monate auf diesem Glutboden ausharren muß, in dieser wimmelnden Wüste, in dieser Schatzkammer voll Gold und unberechenbaren Edelsteinen, ohne Luft und Wasser? Wer konnte je eine Weltausstellung durchlaufen, ohne schließlich mit dem Gefühl hoffnungsloser Leerheit beim nächsten besten Glas Bier sich Rettung zu suchen? Wer kann vollends Ausstellungsbriefe lesen, denen Farbe, Form und Leben in betrübender Weise abgehen muß, ohne gähnend zu entschlafen? Das ist das Los des Schönen dieser Erde! Seit 1851 machen wir die gleiche Erfahrung; wie lange werden wir noch fortfahren? Und doch kann man's nicht lassen! Es zieht uns immer wieder nach den tausend Einzelheiten, welche die arbeitende Menschheit in aller Welt geschaffen und hier zusammengeschleppt hat, und dann mit geheimem Mahnen nach dem Tintenfaß. Aber es dauert ja nicht mehr lang. Ehe drei Monate vergangen sind, beginnen wir das ganze Kartenhaus wieder über den Haufen zu blasen, und in drei Jahren sind die glänzendsten Ausstellungsberichte kaum mehr das Papier wert, auf dem sie stehen. Wird es in dreißig Jahren noch eine Menschenseele geben, die bereit wäre, einen Blick auf sie zu werfen?

Nein!

Und deshalb sei der Gang durch die stolzen Maschinenhallen, die ich vor nahezu dreißig Jahren mit erschöpfendem Eifer durchforschte, die Streifereien durch die Kunstsäle, die mir an manchem Abend die erschlaffende Spannkraft des Geistes wiedergaben, dem Strom der Zeit überlassen. Ohne Bedauern. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt und erfüllen sie auch in ihrer Vergänglichkeit.

Nur ein Seufzer, am Schluß dieser Briefe über die Kunstausstellung, verdient heute vielleicht nochmals geseufzt zu werden.


Wenn ich übersehe, was ich mit dem Mut der Unwissenheit alles geschrieben habe, so ärgere ich mich von Herzen. Jedes Wort bedingten Tadels liegt mir wie ein Stein auf der Seele, und die Bände unbändigen Lobes, die ich nicht geschrieben habe, stecken mir erstickend in der Kehle. Natürlich. Die ganze große Welt der Kunst hat auf diesem engen Raum ihr Bestes zusammengetragen. Fast jedes einzelne Bild könnte mit Ehren den Mittelpunkt jeder kleineren Galerie unsrer Zeit bilden. Hätten wir vier dieser Gemälde, welche man nur will, allein in einem Zimmer beisammen, so könnten sie uns monatelang, Tag für Tag, mit wirklichem, freudigem Genuß erfüllen. Hier drängen und erdrücken sie sich und erdrücken zugleich den menschlichen Geist, bis man blind und dumm aus dem Farbenmeer heraustritt und die Augen schließen muß, um sich selbst wieder zu finden.


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