Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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29.

Leeds, den 11. September 1870.

Es ist hart, solche Zeiten als müßiger Zuschauer verleben zu müssen. Man fühlt sich auf die Seite geschoben und fühlt zugleich, daß man's verdient.

Welch ein Monat! Die ganze Welt ist von diesen Schlägen betäubt. Es scheint nicht mehr das Tun von Menschen zu sein. Es ist ein Blitz, der eingeschlagen hat, es ist die Woge einer Springflut, die über Europa hereingebrochen, Triumph und Untergang in wilder Verwirrung, und doch die Folge eines tiefen stillen Gesetzes, das wir im Sturme seiner Wirkungen kaum mehr erkennen. Was wenige Leute glauben wollen, wird mir immer klarer: daß in den großen Beziehungen zwischen Nationen das Recht in höherem Sinne stets auf der Seite der Macht, der Kraft ist. Man muß das Ding nur richtig verstehen.

Allerdings scheint uns hier der Verlauf der Dinge eine bedenklichere Wendung zu nehmen. Napoleon, die augenfällige Ursache des Kriegs, ist nicht mehr. Unsre Truppen dringen vorwärts, entschlossen, dem Nachbarland das Bajonett ins Herz zu stoßen. Die französische Regierung des Augenblicks schreit nach Frieden, aber die Feinde ihres Landes sind taub. Vielleicht mit Recht. Wenn Frankreich nicht so gedemütigt ist, daß der frechsten Lüge kein Ausweg mehr bleibt, sind die halben Früchte des fürchterlichen Kampfes für uns in einem Jahr wieder verloren. Doch solltet Ihr Euch nicht wundern, daß man dies in England nicht begreift.

Ob Deutschland etwas gewinnt, wenn es Elsaß und Lothringen behält, ist eine viel schwierigere Frage. »Historisches Recht« in einem Kriege, der alles zusammenbricht, ist Unsinn. Das Recht des Siegers ist Recht genug in unserm Falle. Deutschland hat aber diese Provinzen gründlicher verloren als durch Waffengewalt, ihr Herz ist französisch geworden, und Deutschland ist mächtig genug auch ohne sie. Ich sage nicht, wie es hier vielfach geschieht, wir sollten die Großmütigen spielen. Lassen sich die Provinzen regieren, ohne ein beständiger Pfahl in unserm Fleisch zu sein – gut. Wenn nicht, so sollten wir stark genug sein, träumerischen Theorien zu entsagen, wenn es sich um eine bessere Wirklichkeit handelt.

Soeben erhalte ich Bruder Eduards Zeilen von Sedan und freue mich ihrer von Herzen. Dort dabeigewesen zu sein, ist ein halbes Leben wert. Hoffentlich bleibt er trotz aller Anstrengungen gesund bis zum ruhmreichen Ende.

Übrigens bringt die veränderte Lage Frankreichs offenbar auch eine veränderte Stimmung in die Welt. Ich wollte, wir wären in Paris, ehe sie giftig wird.


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