Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

168.

Leeds, den 20. November 1881.

Wenn Ihr Maschinenbauer wäret, anstatt die Eltern eines solchen, so könnte ich Euch jetzt mit größerem Genuß für uns alle einen guten Witz erzählen, in dessen Folge ich in den vergangenen vierzehn Tagen halb Europa durchkreuzte und von Marseille nach »zwanzig Minuten Aufenthalt« mit leichtem Herzen wieder heimzog.

Ein Mr. Julien, der große Länderstrecken an der Rhonemündung besitzt, kam vor einem halben Jahr nach Leeds und bestellte den dritten Dampfpflug mit Verbundmaschinen, den wir bis zur Zeit gebaut haben. Zwei hatte ich bekanntlich in Rumänien vom Stapel gelassen und war von Anfang an der leidenschaftliche Verfechter des Systems gewesen, das natürlich, wie alles, auch seine Gegner hat.

Von der Provence, wo diese Maschinen reblauskranke Weinberge aufpflügen sollten, kamen nun klägliche Berichte. Der Dampfpflug leiste nichts. Unser Mechaniker, sonst ein tüchtiger Mann, scheine der Verzweiflung nahe. Es bleibe nichts andres übrig, als die Dampfkultur gegen die Reblaus aufzugeben und die Maschinen zurückzusenden.

Aber am gleichen Tag, an dem Herr Julien diesen letzten Trumpf ausspielte, sah ich bereits aus einem Eisenbahnwagenfenster bei Avignon die Sonne aufgehen.

Die Provence hat den poetischen Reiz nicht ohne Ursache, den schon das bloße weiche Wort umschmeichelt, das doch eigentlich keine poetische Bedeutung hat. Die weißen Felsen, die überall aus dem Boden brechen, das Grün der Gärten, das Schwarz der Zypressen, das Blau der Oliven und das graue Gestein aus Römer- und Ritterzeiten, an dem das Auge überall haftet, tun Leib und Seele wohl, wenn beide unmittelbar aus Leeds kommen, wo allerdings auch manches grau ist.

Von Miramas, in der Nähe von Marseille, führt eine Zweigbahn nach Fos sur mer. Dort, in der nächsten Nähe der Rhonemündungen, wird die Landschaft und was darinnen ist, wild und öde. Die Hügel sind felsig und kahl; das flache Land ist wie ein Flußbett, mit Steinen und Kieseln bedeckt. Da und dort zeigen sich Farmhäuser und kleine Felder und Baumgruppen, merkwürdige Oasen in einer halben Steinwüste. Ich wurde neugierig, zu sehen, zu was hier unser Dampfpflug gut sein sollte. Manchmal begegnet man einsamen, lagunenartigen Teichen, deren Ufer von Meersalzanstalten verunstaltet sind, oder einer chemischen Fabrik, die sich in diese Wildnis zurückgezogen hat, um im Frieden stinken zu können.

Die Station von Fos ist ein kleines Häuschen, und der Bürgermeister auch der Postbote seiner Gemeinde. Er lud mich, mit vieler Verwunderung, einen Engländer gefangen zu haben, in sein Wägelchen. Fos selbst liegt drei viertel Stunden vom Bahnhof auf einem schroffen Hügel, umringt von alten Römertürmen. Dort bekam ich zum Glück etwas für den Wolfshunger, den ich aus Paris mitgebracht hatte, und ein Fuhrwerk nach Feuillanne, das sich schon in der Ferne durch die zwei Rauchsäulen unsers Dampfpflugs bemerklich machte. Im Gutshof standen die Gebrüder Julien, die eigentlich in Lyon wohnen, aber zum Glück zurzeit hier waren. Wir fuhren sofort nach den Maschinen, deren lange Leidensgeschichte mir, jedoch in der höflichsten Weise, erzählt wurde. Im Feld fand ich Parker, unsern Mann aus Leeds, einen guten Kerl, wenn er nichts zu trinken hat, ehrlich und zäh, aber jetzt fast aufgerieben von den Mühsalen mit den störrischen Maschinen. Ich sah in zwei Minuten, daß meine Vermutung berechtigt gewesen war, daß – verzeiht die Sprache des Handwerks, ohne die hier nicht auszukommen ist – daß die Exzenterstangen des Hochdruckzylinders verkehrt an die Kulisse der Schiebersteuerung befestigt waren und daß infolge hiervon seit drei Wochen der Hochdruckzylinder gegen, anstatt mit dem Niederdruckzylinder gearbeitet hatte. Ich ließ die Stangen abnehmen und umstellen und in zehn Minuten waren beide Maschinen in bester Ordnung. Die Maschinenwärter lachten vor Vergnügen, Parker war nahe daran, sich die Haare auszureißen, und ich fuhr spornstreichs nach Fos zurück, um den Pariser Nachtzug zu erreichen.


 << zurück weiter >>