Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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7.

Brüssel, den 22. Dezember 1868.

Drei volle Tage brachte ich mit de Mesnil in Paris zu. Eine kaiserliche Kommission zur Prüfung unsers und andrer Schleppsysteme wünschte plötzlich Mitteilungen entgegenzunehmen und gab uns für die nötigen Vorbereitungen eine Galgenfrist von vier Tagen. In vierundzwanzig Stunden hatte ich einen englischen Bericht mit besonderer Beziehung auf französische Flüsse und Kanäle fertig, der nach drei Tagen ins Französische übersetzt war. Dann wurden alte Zeichnungen zugestutzt, neue entworfen, Karten gemalt, und am Morgen des Tags vor dem Konzil war ein Album von zwanzig großen Blättern beisammen, das den Bericht erläutern sollte. Ein hübsches Modell der Klappentrommel wurde von Leeds herbeitelegraphiert, und nachmittags zwei Uhr reisten wir von Brüssel ab.

Ein gewisser Labrousse, früher kaiserlicher Marineleutnant, »dessen Onkel Admiral war«, und der vor zwei Jahren ein Buch über Kettenschiffahrt geschrieben hatte, ist de Mesnils Vertrauter und Vertreter in Paris. Ein echter kleiner Franzose, dem man den Mund nicht fünf Minuten lang schließen kann und der einen unwiderstehlichen Hang zu allem möglichen Sport besitzt. Die halbe Nacht wurde damit zugebracht, unsern Feldzugsplan mit diesem Herrn zu beraten.

Um zwölf Uhr des andern Tags antichambrierten wir, Labrousse wie ein Rädchen schwatzend, de Mesnil etwas nervös, ich mit der mir selbst oft rätselhaften, völligen Verachtung großer geschichtlicher Augenblicke, die mir seit Ägypten und Amerika eigen ist. Neben uns, verschiedene Gemütsstimmungen ausdrückend, bewegte sich Bouquié, der Bruder des Erfinders, mit seinen Freunden – derselbe Bouquié, der vor drei Monaten de Mesnil in einer Straße von Paris mit einem Stock angefallen hatte und dafür zehn Tage gesessen war! Ihr könnt Euch denken, wie sich die zwei Herren betrachteten. Die dritte Gruppe bildete ein bleiches, melancholisches Männchen, das Erfindungspatent der Not und Armut auf der Stirne, der die Schiffe mit Lokomotiven ziehen will und allgemeines Mitleid erregte.

Wir waren die ersten, die eingeladen wurden, in den Sitzungssaal zu treten. Ein großer grüner Tisch, sieben Abgeordnete mit sieben roten Bändchen in sieben Knopflöchern auf der einen Seite; wir zu drei auf der andern. Labrousse sollte meinen Aufsatz vorlesen, ich die Zeichnungen erklären, de Mesnil im allgemeinen die Honneurs machen. Der Mensch denkt, Gott lenkt. Kaum war Labrousse über die erste Seite weg, so wollten die Abgeordneten, denen diese Art des Verfahrens nicht gefiel, auch ihre Weisheit zeigen und machten Kreuz- und Querfragen, die allerdings sämtlich in meinem Aufsatz behandelt waren. Aber da war kein Einlenken mehr möglich. Nach zehn Minuten verwirrten Fragens und Antwortens saß sowohl Labrousse als jeder der sieben Abgeordneten auf seinem eignen Steckenpferd und ritten lustig nach acht verschiedenen Himmelsrichtungen, de Mesnil war in Verzweiflung, ich war wütend, aber es half nichts. Niemand wollte bei der Stange bleiben. Fünf sprachen immer zugleich, und wenn der Sechste anfing, klopfte der Präsident mit dem Finger auf den Tisch. Warum? weiß ich nicht. Denn von einer Wirkung war nichts zu verspüren. So verflossen zwei Stunden, worauf deutlich wurde, daß es jetzt Zeit sei, den nächsten Erfinder vorzulassen. Wir waren auf die zweite meines achtundvierzig Seiten langen Aufsatzes gekommen und hatten die Einleitung fast durchgelesen. Dies schien dem Richterkreise befriedigend, so daß der Vorschlag einstimmig angenommen wurde, unsre Angelegenheit in vierzehn Tagen wieder vorzunehmen. Wie's den andern ging, weiß ich nicht. Vermutlich nicht besser. Ich war ungebührlich ärgerlich, de Mesnil tief melancholisch, Labrousse dagegen von dem Ergebnis der Besprechung durchaus befriedigt. Er kennt ohne Zweifel die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen besser als wir.


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