Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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65.

Wien, den 24. April 1873.

Mit der ganzen übrigen Welt möchtet auch Ihr wissen, was sich in den letzten vier Wochen in Wien ereignet hat? Nichts, wenn man den allgemeinen Strudel betrachtet, den die herannahende Eröffnung der Weltausstellung mit sich bringt. Hunderterlei, wenn man den einzelnen Tag mit ruhigeren Zeiten vergleicht.

Das erste, was ich im Ausstellungsgebäude zu tun hatte, war, mir eine Hütte zu bauen, in der sich ein Stuhl, ein Tisch und ein Tintenfaß unterbringen läßt. Meine Feinde heißen sie eine Kathedrale, denn sie erregt durch ihre Größe und Schönheit den Neid der Widersacher. Sie enthält drei Stübchen, eines für mich, eines für Besen und Lumpen, eines für eine Modell- und Photographiensammlung, das zugleich als Empfangsraum für hohe Herrschaften dient. Außen ist sie weiß und blau und golden, innen ist sie noch nichts als vielversprechend.

Um diesen Tempel scharen sich, in mattem Grau gemalt, meine Ausstellungsgegenstände, die Riesen der ganzen Abteilung: eine zwanzigpferdige Dampfpflugmaschine, eine achtpferdige Straßenlokomotive, ein Sechs- und ein Vierfurchenpflug, drei große Kultivatoren und ein Clipdrum. Das ganze ist ein hübscher Eckplatz, mit dem ich Ursache habe, zufrieden zu sein. Eckplätze sind ja auch bei Meßbuden und Schnapsschenken von besonderem Wert.

Über mir wölbt sich zum Glück oder Unglück das schlechtkonstruierte Dach der »östlichen Agrikulturhalle«. Diese ist wie ein Dutzend andre, ein spät sich aufdrängender Neben- und Nachgedanke der hohen Ausstellungsleitung und mag für ein halbes Jahr standhalten, obgleich uns der Fußboden, worauf eine mittelschwere Maschine nicht zu stehen vermag, schon jetzt schwere Sorgen bereitet. Das Dach ist bei schönem Wetter wasserdicht.

In sechs Tagen soll die Eröffnungsfeier stattfinden. Aber wie sieht es aus! Gestern lagen über tausend beladene Wagen auf den verschiedenen Bahnhöfen Wiens. Die Hallen und Höfe des Ausstellungsraums sind überfüllt mit Kisten, die stöhnend ihre Plätze suchen. Mit der äußersten Anstrengung können täglich etwa dreihundert Wagen entladen werden, und jeder Tag füllt die sämtlichen Schienengeleise in und um Wien aufs neue. Noch warten ungeduldige Aussteller auf den Maler oder Zimmermann, der ihnen das Dach über dem Kopf fertigstellen oder ein ornamentales Brett auf den kiesigen Naturboden legen soll. Da und dort warten auch hochaufgebeugte Kisten auf die nichterscheinenden Aussteller oder treibt sich ein verlaufenes Kamin oder eine verlorene Schiffsschraube in künftigen Gartenanlagen umher und wird bereits von blühenden Veilchen überwuchert. Es ist, wie es immer war, nur schlimmer; die Aufgabe ist allen verfügbaren Kräften über den Kopf gewachsen. Selbst der gemütliche Wiener wird grob; so hoch geht ihm das Ausstellungswasser an den Hals.

Ich selbst wiege mich im Grundbesitz. Meine Sachen stehen, wo sie stehen sollen, und meine Leute pfeifen die grausigen Tingeltangellieder ihrer britischen Heimat beim Polieren und Waschen der etwas rostig gewordenen Maschinenteile. Ein Maler schmückt meinen Tempel aufs neue, der lieblich nach Firnis riecht, und Hofrat Hamm vom k.k. Landwirtschaftsministerium hat mich soeben um einen Aufsatz für die Ausstellungszeitung gebeten, in der die Dampfpflüge den landwirtschaftlichen Reigen eröffnen sollen. Dem Manne kann geholfen werden.

Vorige Woche war ich auf einige Tage in Böhmen bei Horsky, der jetzt seinen Dampfpflug erhalten hat und sich dessen gebührend freut. Vorgestern kam ich von Bisenz in Mähren zurück, von wo einer der F.F.schen Dampfpflüge nach Gutenhof bei Wien geholt werden muß, um sich dort während der Ausstellung zu zeigen.

Von Wiens Freuden bleibe ich trotz allem nicht ganz unberührt. Man hört Konzerte, die neben dem Dampf-Pflügen ein seltener Hochgenuß sind, man sieht Theater, Gemälde und eine Stadt im Frühlingssonnenschein, die schöner nicht leicht gedacht werden kann. Freilich, wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Und das eigentliche Wiener Leben trägt die Schatten tief genug auf.


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