Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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38.

Leeds, den 11. März 1871.

Mein letzter Brief hat uns in einen kleinen Meinungskrieg verwickelt. Soll ich des Breiteren auseinandersetzen, was schon tausendmal gedacht und gesagt wurde? Es würde zu nichts führen. Wahrheiten dieser Art wachsen nur von innen heraus, in jedem Menschen anders. Du selbst, l. M., gibst als schließlichen Grund und Beweis Deiner Auffassung Dein Gefühl an. Das ist mir ganz recht und lieb. Auch ich habe ähnlich beweiskräftige Gefühle, aber ich dränge sie keinem Menschen auf; denn ich weiß zu wohl, wie sie mir im Lauf der Zeit herangewachsen sind. Ist es nötig, an der Wahrheit des Spruchs vom Sperling auf dem Dache und vom Haar auf dem Haupte zu zweifeln, wenn man ein naturwidriges Angreifen des lieben Gottes in unsre gewöhnlichen, menschlichen Verhältnisse nicht glauben mag? Die ganze Natur, die ganze Welt, groß und klein, lebt und webt als Wille Gottes, und deshalb fällt der Sperling und das Haar, wenn seine Zeit kommt. Unser Beten gegen diesen Willen hilft nichts. Sein Wille, nicht der unsrige, geschieht und soll geschehen. Alles Bitten um etwas andres als Ergebung in das Walten der göttlichen Kräfte in der Natur ist kindlich, menschlich, rührend, es ist fromm und stärkend, wenn es im Glauben geschieht; aber der himmlische Geist, der unser menschliches Bitten und Wünschen besser versteht als wir selbst, gibt uns dafür nicht, was wir erbitten, sondern, was wir hätten erbitten sollen: die Ergebung in seinen Willen. Also auch hier – Friede! Friede!

Darwin hat sein langerwartetes großes Buch über den Menschen veröffentlicht. Ich habe gestern die Schlußkapitel durchflogen und habe mich ungemein erbaut. Wir stammen zweifellos nunmehr von einem »haarigen Vierfüßler ab, mit gespitzten Ohren und einem Schwanz, der wahrscheinlich auf Bäumen lebte (of arboreal habits) und zunächst die alte Welt bewohnte«. Dieses Geschöpf, »das ein Naturforscher seiner Zeit zweifelsohne zum Geschlecht der Affen gerechnet hätte«, stammt seinerseits wieder von einem Amphibium ab, welches sich aus einem Fisch entwickelte. Der Großvater unsers vorfahrenden Fisches aber war eine Larve mit einem langen Namen, den ich schon wieder vergessen habe. Wie gefällt Dir das? Ich meinerseits habe mich vollständig überzeugt, daß das Geheimnis heraus ist. Fühlt nicht jeder Junge noch in sich selbst die Spuren vergessener arboreal habits? Was brauchen wir weiter Zeugnis?

Nur eins verstehe ich nicht: Wie all das nach Ansicht frömmerer Leute den lieben Gott ärgern soll, der es doch gemacht hat?


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