Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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134.

Alexandrien, den 15. März 1880.

Eine echt ägyptische Geschichte der schlimmeren Art, die mir förmlich entgegenbrüllt: Geduld! Da mir schlechterdings kein andrer Ausweg offen steht, so werde ich's wohl fertig bringen, mich im Lande der fatalistischen Ergebung ein paar Wochen lang dieser schönen Tugend zu widmen, die mir immer wie ein halbes Laster erscheint, auch wenn ihr nicht auszuweichen ist.

Am Tag meiner Ankunft befand sich, von schlechtem Wetter aufgehalten, das Schiff mit unsern Dampfpumpen erst in Malta. Am folgenden Tag ging ich deshalb nach Kairo, wo mir Nubar auseinandersetzte, daß er seinen Plan geändert habe. Seine Besitzung bei Alexandrien sei zwar groß, aber ungeheuer lang und schmal, längs dem Mahmudiekanal. Ein großes Pumpwerk an einem Punkte sei deshalb nicht rätlich, da dies sehr lange Hauptbewässerungskanäle erfordern würde. Dagegen habe er ein abgerundetes Gut bei Damiette, für das er unsre Maschine bestimme.

Dagegen ließ sich natürlich nichts sagen. Nubar kann mit seinem Eigentum machen, was er will. Die Folgen aber sind diese: Anstatt in vierzehn Tagen meine Arbeiten hier in aller Bequemlichkeit zu beendigen, müssen die Maschinen in Nilboote verladen werden, um auf einem dreieckigen Umweg Damiette zu erreichen. Dann haben sie in der mir keineswegs unbekannten Deltawildnis ausgeladen und aufgestellt zu werden, und schließlich sind sie ein von Gott und Welt verlassener Triumph unsrer Kunst, während ich selbst mich mit Moskitos und Sumpfgetieren unterhalten und in alten Erinnerungen an die »Kotstadt« Pelusium schwelgen kann.

Vorderhand aber sind wir noch nicht einmal so weit. Der Frachtdampfer ist am letzten Mittwoch angekommen. Das Wetter und die See waren aber so stürmisch, daß das Umladen die größten Schwierigkeiten machte. Eine unsrer Barken, in der zum Glück noch nichts war, liegt bereits in der Meerestiefe. Die andern werden wohl morgen oder übermorgen die Nilreise antreten. Ich selbst habe mit diesem Teil des Geschäfts nichts zu tun, schlug aber, in Ermanglung von etwas Besserem, Nubar-Pascha vor, mich die Umladung überwachen zu lassen. Deshalb bin ich zunächst wieder hier, zum sichtlichen Ärger von Dakour-Pascha, Nubars Vertreter, der sich durch meine Anwesenheit gekränkt fühlt und mir mitteilte, daß er einmal hundertzweiundsiebzig Kisten versandt habe, ohne eine einzige zu verlieren, was für einen Pascha gewiß viel sei.

Unter Bekanntem und Bekannten hat die Zeit fürchterlich aufgeräumt. Viele sind fort, viele tot, einer liegt in einem Armenhaus. Etlichen wenigen geht's wirklich gut. Doch was klage ich? Selbst Kleopatras Nadel ist verschwunden, um im Nebel der Themse ein trauriges Dasein weiterzuführen. Bei einem Besuch in Schubra, das so wüst und öde geworden, als ein solches Fleckchen der Erde es irgend werden kann, fand ich zwei meiner alten Dampfpflüger als Ziegenhirten wieder. Die neuen französischen Stadtteile Kairos fallen teilweise um. Das Opernhaus und die Theater stehen leer. Das Eldorado ist abgebrannt und ähnliche elysäische Gefilde füllen sich mit Sand, wie billig. Die alten Kalifen- und Mameluckengräber stehen noch, geschützt und erhalten von der ewigen Wüste, und unter ihnen habe ich den größten Teil meiner freien Zeit, herumkriechend und skizzierend, zugebracht. Eine alte Liebhaberei, die für mich ihren Reiz nie verliert.

Auf der Rückfahrt nach Alexandrien begleitete mich der Besitzer einer Baumwollputzfabrik in Samanud, der seit fünfundzwanzig Jahren ägyptische Erfahrungen sammelt. Er erzählte mir von der Not, die er beim Kauf eines kleines Landguts gehabt habe, das in einzelnen Feldstücken achtzehn Fellachin angehört hatte. Das Ganze war seit fünf Jahren in seinem Besitz, und alles längst bezahlt, aber noch immer war die gesetzliche Eintragung des Kaufs, welche in der Provinzialstadt Mansura vorgenommen werden mußte, nicht erledigt, und deshalb das Eigentumsrecht noch nicht völlig gesichert. Dazu gehörte, daß Käufer und Verkäufer im Beisein des Kadis die Eintragung im Grundbuch unterzeichneten. Die achtzehn Fellachin waren aber nicht zu bewegen, zusammen nach Mansura zu gehen, und der Kadi wollte sich nicht an die Arbeit machen, ehe die achtzehn Bauern beisammen waren. Endlich ersann Mr. Mc. Cleod einen Ausweg. Er versprach dem Imam des Dorfs zwei Pferde für seine Hilfe. Der letztere beredete die Bauern, ihm ihre sämtlichen Siegelringe zu übergeben, worauf sich Mc. Cleod mit dem Imam und den Ringen nach Mansura begab. Dort stellte sich Mc. Cleod dem Kadi vor und benachrichtigte ihn, daß die Bauern anwesend seien und die Sache abgemacht werden könne. Außen im Hof, im gewohnten Gedränge andrer Leute, befand sich der Imam mit den Ringen. Der Oberschreiber macht sich an die Arbeit und schreibt den ersten Verkauf aus. Mc. Cleod beginnt gleichzeitig, dem wißbegierigen Kadi die neuesten politischen Nachrichten mitzuteilen, und setzt sich so, daß derselbe dem Schreiber den Rücken kehrt. Dieser ruft den ersten Verkäufer: »Mohamed Chalil!« Der Imam sucht geschwind den Ring Mohamed Chalils und kommt feierlich herein. »Bist du Mohamed Chalil?« »Ja, Efendi!« »So siegle deinen Verkauf!« Und der falsche Mohamed Chalil schwärzt seinen Ring und drückt das Siegel feierlich aufs Register, ehe er sich mit tiefen Salaams zurückzieht. »Der zweite!« ruft dann der Schreiber; »Hassan Ali!« Der Imam erscheint wieder, mit Hassan Alis Ring, und spielt seine Komödie. »Der dritte! Soleiman Mansur!« Und der Imam kommt zum drittenmal. Der Schreiber stockt jetzt. Herrn Mc. Cleod stehen die Schweißtropfen auf der Stirne. Er verwickelt sich in einen Tscherkessenausbruch im Kaukasus und erfindet eine Revolution in Peru. Der Kadi ruft den Propheten zum Zeugen an, daß diese Söhne von Schweinen, die Russen, noch größere Esel seien als die Söhne von Hunden in Amerika. Im übrigen merkt er nichts. Der Imam und der Schreiber haben sich unterdessen mit einem Augenwink verständigt. Soleiman Mansur hat gesiegelt und Musa el Arisch ist bereits eingetreten, um die vierte Urkunde zu unterzeichnen. Beim siebten Erscheinen des Imam sagt der Schreiber mit würdigem Ernst: »Es ist genug! Gib mir deine Ringe, o Imam!« Und von da an halfen sie sich brüderlich, die Siegel vollends auf die Urkunden zu drücken. Der Schreiber bekam einen hübschen jungen Esel und der Kadi hatte noch immer nichts gemerkt. Aber acht Tage nachher war es doch nötig, auch ihm ein Pferd zu schicken; denn die Geschichte war zu gut, um nicht in den Basars in unangenehmer Weise die Runde zu machen.


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