Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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13.

Leeds, den 8. August 1869.

Es konnte so, was mich betraf, nicht länger weitergehen. Meine besten Freunde mußten einsehen, daß es selbst einem tüchtigen Menschen nicht gegeben ist, an drei bis vier Orten gleichzeitig zu sein. Ich mußte mich entscheiden, ob ich auf trockener Erde weiterleben oder mein Schicksal ganz dem Wasser anvertrauen wolle. Bei einem wie ich glaubte vorübergehenden Besuch in London wurde die Frage in einer kurzen, aber inhaltsschweren Besprechung mit R. Fowler erörtert. Langes Überlegen führt in solchen Lebensfragen nicht zum Ziel. Hier hilft nur ein rascher Entschluß und energisches Festhalten an der Entscheidung. Ich wählte das Land und bin nun wohl für die nächsten zehn Jahre an Fowler und die Dampfkultur gebunden.

Als einen wahren Glücksfall sehe ich es an, daß das Geschick mir gleichzeitig einen alten, treuen Schulkameraden und Arbeitsgenossen zuführte, der sich seit einigen Wochen nach einem passenden Wirkungskreis umsah. Schwarz war, solange ich ihn kannte, ein tüchtiger Ingenieur und ein vortrefflicher Mensch, ruhig, zäh und entschlossen, gerade das, was meine belgischen Freunde vor allem brauchten. Ich legte ihm rückhaltlos das Für und Wider der Verhältnisse in Brüssel dar. Er hatte zu meiner Freude den Mut, zuzugreifen und ist nunmehr wohlbestallter geschäftsführender Direktor der Société centrale de touage zu Brüssel. Möge ihn der Strick, den ich ihm gedreht habe, zu einem glücklichen Ende führen.

Auch in England fand die Entstehungszeit der Seilschiffahrt in den letzten Tagen einen nicht unwürdigen Abschluß. Für mich war derselbe das große Ereignis der letzten Woche. Es war die höchste Zeit, mit der Sache endlich einmal auch hier vor die Öffentlichkeit zu treten. Englisch zu schreiben macht mir natürlich heutzutage nicht mehr Mühe als Deutsch, eher weniger. Denn für geschäftliche Auseinandersetzungen ist die Sprache unübertrefflich. Aber man muß sich doch etwas mehr in acht nehmen, wenn man zum erstenmal einem fremdländischen Hörerkreise entgegentritt, der keineswegs so geneigt ist, wie ein deutscher, von außen Kommendes mit Vorliebe aufzunehmen.

Die Institution of Mechanical Engineers ist einer der bedeutendsten Vereine des Landes. Er zählt etwa fünfhundert Mitglieder, worunter die ersten Namen der technischen Welt zu finden sind. Der alte G. Stephenson war der erste Präsident der Gesellschaft. Heute ist es Armstrong, der große Kanonier. Namen wie Withworth, Hawksley, Bramwell, Hawkshaw u.s.w. sind bis Indien und Australien, wenn auch kaum in diesen und jenen Winkel der schwäbischen Erde gedrungen. Dieser Verein hält jährlich eine vielbesuchte Wanderversammlung ab. Die Feierlichkeiten dauern gewöhnlich fünf Tage, von denen die zwei ersten für Vorträge technischer Natur (papers genannt) und deren Besprechung bestimmt sind, während der Rest zu Ausflügen nach technisch interessanten Punkten der Umgegend benutzt wird.

Es hatte keine Schwierigkeiten, mich als Mitglied und zugleich einen Vortrag über Seilschiffahrt anzumelden.

Etwa dreihundert Techniker kamen anfangs voriger Woche in Neucastle zusammen und hörten unter Armstrongs Vorsitz drei Tage lang geduldig an, was etliche acht Herren zu sagen hatten. Ich will Eure Geduld dieser Prüfung nicht unterwerfen. Es wird hierbei nicht frei gesprochen. Man hält dies in England nicht für ernst und wissenschaftlich genug, und in der Tat läßt sich manches für diese Auffassung sagen. Die Vorträge werden sogar nicht von den Verfassern, sondern von dem Geschäftsführer der Gesellschaft gelesen. Dagegen ist die darauffolgende Besprechung, wenn auch fast immer in dem gebildeten Engländern eigentümlichen vorsichtigen und höflichen Ton gehalten, oft sehr lebhaft und manchmal von Bedeutung.

Fast am Schluß, als siebenter, sollte ich an die Reihe kommen. Anfangs behagte mir dies schlecht, obgleich ich nichts Vernünftiges dagegen einwenden konnte; denn ich war erst den Tag zuvor Mitglied geworden und somit in jeder Beziehung der Jüngste. Es stellte sich jedoch heraus, daß meine Lage dadurch keineswegs eine ungünstige war. Wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit der Hörer zu fesseln, so ist es sogar besser, das letzte, als das erste Wort zu haben.

Mr. Marshall, der Sekretär, hatte meine vierundfünfzig Folioseiten, die er zu bewundern vorgab und die in ihrer ganzen Breite gedruckt werden, recht vernünftig verdichtet und beschnitten. Dies war für die Vorlesung unerläßlich, obgleich hierbei die Früchte von nahezu zwei Jahren beständigen Denkens, Schaffens und Arbeitens etwas gar zu fest zusammengepreßt werden mußten. Auch so dauerte das Lesen über eine Stunde; sichtlich ohne die Hörer zu ermüden. Es brachte fast für jedermann etwas durchaus Neues, und die Einfachheit des Prinzips, wie die Wichtigkeit der Sache kam zu voller Geltung. Bramwell, Armstrong, Cooper, Hawksley und andre sprachen in der anerkennendsten Weise ihre Meinungen aus, oder stellten Fragen über Einzelheiten, die in dem abgekürzten Vortrag unerörtert geblieben waren.

Nachmittags wurde Armstrongs große Fabrik zu Elswick besucht, und abends fand ein Festmahl bei dem Kanonenkönig Englands statt, das unsern Präsidenten eine hübsche Summe gekostet haben muß, uns alle aber in trefflichster Stimmung nach Hause sandte.


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