Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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142.

Maraschesti, den 4. Juli 1880.

Nach dieser tollen Jagd war Maraschesti ein wohltuender Gegensatz, wie man ihn sich kaum stärker wünschen kann. Das weite Tal des Sereth, mit den blauen Karpathen in der Ferne, mit seinen rebengrünen Hügeln in nächster Nähe, seinen ruhigen Maisfeldern, mit stattlichen Eichenwäldern da und dort, die der allgemeinen Entlaubung der Welt bis heute getrotzt haben – dies alles gibt den Augen- und Kopfnerven Zeit, sich zu beruhigen. Die Poesie des Welschkorns hat nichts übermäßig Aufregendes, und das landwirtschaftliche Gemüt, das heute nach Regen seufzt und morgen nach Sonnenschein, faßt sich in Ergebung, wenn es trotz alles Seufzens die braune Erde grün werden sieht und die grüne gelb.

Eine klassische Umgebung tut das übrige. Mein Freund, der Buchhalter Xenophon, und der Gutsverwalter Herakles empfingen mich am Bahnhof. Der letztere spricht leider nur Griechisch, und hat ein paar Augen, mit denen er jeden in den Grund bohrt, der ihn auch nur fragt, wieviel Uhr es sei. Der Dampfpflug war in vortrefflichem Gang, und die einzige Klage war, daß eine kleine Straßenlokomotive nicht soviel leisten wolle als eine große. Dem versprach ich, im ersten Feuer des Höflichkeitsaustausches, gründlich abzuhelfen; wie, weiß der Himmel.

Am folgenden Tag kam Ulysses Negroponte, der Eigentümer von Maraschesti, aus Konstantinopel, seinem gewöhnlichen Wohnort, mit seinem Bruder Theodoros und einem Baron von Rheineck. Letzterer ist der Sohn eines seinerzeit philhellenischen Generals, der in dieser Gegend als Gutsbesitzer hängen geblieben ist. Ich hatte zunächst auf meinen neuen Maiskultivator und eine kalifornische Mähmaschine zu warten, mit denen Versuche angestellt werden sollten, und vertrieb mir die Zeit mit kleinen Geschäftsreisen, bei denen es sich um Dampfpflüge, Feldbahnen und Bewässerungsanlagen, überall aber um Millionen handelte. Doch sind solche Dinge nicht über Nacht abzumachen, und viel müßige und mühselige Arbeit wird vergeudet, ehe ein hoffnungsvolles Wald- und Feldblümchen dieser Art Früchte ansetzt.

Bei meiner Rückkunft wurde ich von Herrn Ulysses durch die Bestellung eines zweiten Dampfpfluges – diesmal für Lehlui, das Gut, das ich letzten Herbst besucht hatte – angenehm überrascht. Auch kamen endlich Nachrichten von der österreichischen Grenze, daß der Maiskultivator dort angelangt sei und nach wenigen Tagen in Maraschesti sein könne.

Worauf wir, Ulysses und ich, uns auf den Weg machten, um sein Waldgut Grozesti in den Karpathen zu besuchen. Von der Eisenbahnstation Adjud führt ein häufig wegloser Weg nach der Ostgrenze Siebenbürgens. Nachdem man auf einer Strecke von etwa fünfzehn Wegstunden drei brückenlose Gebirgsströme durchfahren hat, in denen das Wasser den Boden der Droschke überschwemmt, und sich mannigfach über die Möglichkeit verwundern mußte, bis zu welcher die Schlechtigkeit eines Weges herabsinken kann, erreicht man in einem herrlichen Wald- und Gebirgstal auf dem Gipfel eines reizend angelegten Hügels und am Eingang eines Engpasses, der über die rumänische Grenze führt, das Landhäuschen, wo wir uns vier Tage lang aufhielten.

Während derselben durchritten wir in allen Richtungen tiefe Waldeseinsamkeiten, wanderten in dem Bett von Forellenbächen Pässe empor, bis gefallene Buchen und Eichen weiteres Vordringen unmöglich machten, und kletterten auf allen Vieren Waldabhänge empor, die von Pferden nicht mehr erstiegen werden konnten. Abends und nachts mußten flüchtige Skizzen ins reine gebracht und Berechnungen angestellt werden, die insgesamt darauf abzielten, der Waldespoesie so rasch als möglich ein Ende zu machen.

Dies sind nun zwar alles vorderhand Projekte. Aber Ulysses, der neben modernem Unternehmungsgeist die vielgerühmte Schlauheit seines homerischen Namensvetters besitzt und einer griechischen Menelausgestalt Ehre machen würde, hat mehrmals in seinem Leben mit solchen Projekten rasch und mit viel Glück ernst gemacht.

Wahrscheinlich werde ich in nächster Zeit die Behörden meines engeren Vaterlands ersuchen müssen, Herrn Negroponte einen sachverständigen Fach- und Forstmann zu beschaffen, der mit dem Umhauen von Bäumen vertraut ist und sich nicht vor Bären fürchtet. Sein Vorgänger habe, höre ich, den Posten übel zugerichtet und mit Entrüstung verlassen, da er sich mit dem wilden Waldzeug der Gegend nicht befreunden konnte.


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