Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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162.

Simnitza, den 15. Mai 1881.

Ich wohne wieder im Zimmer des Kaisers von Rußland, schlafe in dem kaiserlichen Bett und sehe von meinem Fenster, wie seinerzeit Seine Majestät, die breite Donau vor mir, den langen, geraden Damm, den damals seine Russen aufgeworfen haben, und drüben Sistova und die grünen Hügel, hinter denen Plewna und tausend Gräber liegen. Meine Sorgen sind ohne Zweifel geringer als die seinigen. Dagegen bin ich auch nicht Kaiser und habe mich um einen Pflug zu kümmern, anstatt ums Schwert. Der Besuch von Lehlui, den ich mit Ulysses Negroponte und Baron von Reineck zunächst unternahm, ist in geschäftlicher Beziehung sehr befriedigend ausgefallen.

Eine sechs Stunden lange Fahrt von Bukarest nach Südost in einer kleinen Droschke, die für zwei gebaut ist und mit fünf Pferden bespannt drei Reisende, mit nicht wenig Gepäck, einen Kutscher und einen bewaffneten Schutzmann aufnehmen muß, ist kein Vergnügen. Die Gegend ist grün, aber über die Maßen flach, der Himmel blau und endlos. Ein paar arme Dörfchen, an kunstreich erzeugten Pfützen gelegen, unterbrechen die Einsamkeit der keimenden Fruchtfelder, und man muß ein starkes landwirtschaftliches Gemüt haben, um sich der Entmutigung zu erwehren, die das grenzenlos Horizontale bei den meisten auf bergigem Grund und Boden geborenen Menschen erzeugt.

In Lehlui erwarteten Negroponte harte Tage. Der französische Ingenieur, dem er seit zwei Jahren sein Vertrauen geschenkt, hatte daselbst nach Herzenslust gewirtschaftet. Nichts war fertig, und das meiste sah in seinem unfertigen Zustand wie barer, aber großartiger Unsinn aus. Der technische Übeltäter hatte soeben ein Ende mit Schrecken genommen, und Negroponte betrachtete dreimalhunderttausend Franken in der Form von halbfertigen Ställen, unerklärlichen Löchern im Boden, rätselhaften Dämmen, gebrannten und ungebrannten Backsteinen und zahlreichen französischen Maschinen in zerbrochenen Kisten mit einer rührenden Mischung von Wehmut und Zorn.

Der einzige Lichtpunkt in diesem Chaos war der Dampfpflug, der seit etlichen Wochen im Gang ist und drauflos arbeitet, als wolle er alles retten. Die Sache war nicht ganz die gewöhnliche. Die zum erstenmal in Anwendung kommenden Verbundmaschinen sollten ein Drittel des bisher nötigen Brennmaterials und Wassers ersparen. Der Pflug, besonders für Rumänien bestimmt, war der größte, den wir je gebaut haben. All das hatte ich letzten Sommer zu wagen beschlossen, um den Verhältnissen des Landes gerecht zu werden, und war mir wohl bewußt, daß, wenn die Sache mißlang, ich mehr als den Löwenanteil der Verantwortung zu tragen haben würde, während im günstigen Fall, wie immer, die Fabrik ruhig, und ein halbes Dutzend andrer Leute mit großem Lärm die Ehre und den Gewinn des Wagnisses einzustecken bereit waren.

Ich darf mir Glück wünschen, daß das letztere der Fall ist; sogar in mehr als gewöhnlichem Grad. Es ist eine alte Geschichte. Wie im bösen Leben gar manchmal, hüllt sich der wirkliche Vater eines Kindleins, mag es ein noch so prächtiger Junge sein, in bescheidenes Dunkel. Der Code Napoléon in seiner Weisheit verbietet sogar, nach ihm zu forschen. So ist es auch, und nur allzuhäufig, mit diesen Kindlein aus Wasser und Feuer.

Einen Tag lang stand ich im Feld, ließ mir die Haut verbrennen und sogar das Mittagessen in einen Straßengraben bringen, um den Maschinen Holz und Wasser zuzuwägen – eine Aufgabe, die so einfach ist, daß man sie keinem Menschen anvertrauen kann, wenn man sicher gehen will. Aber ich hatte auch meinen Lohn. Der Pflug arbeitet auf einem Waldboden, an dem alle Bauernpflüge erlegen sind, und schneidet durch Tausende von alten Wurzeln, daß es kracht und knallt wie ein fortwährendes unterirdisches Feuerwerk, und Kohle und Wasser stimmten mit der Theorie so merkwürdig überein, daß ich es selbst kaum glauben konnte.

Mittlerweile hatte sich aber am andern Ende des Landes ein schweres Ungewitter zusammengezogen. Mr. Manos' Dampfpflug kam über Galatz auf einem Seedampfer und sollte dort auf Donauschleppboote verladen werden, um den Strom herauf nach Simnitza gebracht zu werden. Beim Umladen stürzte eine der Maschinen um und erlitt schwere Beschädigungen. Wie es zuging, kann kein Mensch herausfinden. Jeder klagt laut die verrückte Dummheit des andern an, seitdem sie merken, wie groß der angerichtete Schaden ist. Zuerst telegraphierten sie, daß sich's nur um eine Kleinigkeit handle, die sich in Galatz leicht wieder gutmachen lasse. Dann gaben sie alle Gedanken an Wiederherstellung auf, brachten die zertrümmerte Maschine und mit ganz besonderer Sorgfalt sämtliche vollständig nutzlosen, zerbrochenen Stücke in die Wildnis von Simnitza und machten sich dann schleunigst aus dem Staub.

An die Ufer der Donau hinsitzen und über zerbrochene Gußstücke klagen, war nutzlos. Seit gestern demontiere ich die Maschine. Ein großes Stück derselben, ein sogenannter Lagerstuhl, geht morgen samt mir nach Bukarest, in eine dortige Maschinenfabrik. Andre Teile werden telegraphisch von England herbeigeholt, und nach einiger Zeit wird wohl auch dieses Zwischenspiel ein Kapitel der Vergangenheit bilden.


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