Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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138.

Alexandrien, den 6. Mai 1880.

»Meine Ruh ist hin« – und ich kann nicht leugnen, daß mir dies angenehm ist.

Am Sonntag verließ ich Scharabas, nach glücklicher Beendigung meiner dortigen Arbeiten. Selbst Fowlers wahnsinnige Versprechungen wurden buchstäblich eingehalten, ja, mit Hilfe eines kleinen Backschischs noch übertroffen. Am Montag war ich in Kairo und hatte meine letzte, höchst befriedigende Besprechung mit Nubar-Pascha. Bei ihm fand ich ein Telegramm von Leeds, das mich anwies, auf einen Brief zu warten, der soeben der Post übergeben werde. Der Dampfer von Brindisi, der ihn vermutlich bringt, hätte heute vormittag ankommen sollen, ist jedoch noch nicht in Sicht. Der Dampfer nach Brindisi aber, mit dem ich gehen wollte, verläßt den Hafen heute nachmittag um vier Uhr. So sitze ich vielleicht noch tagelang hier. Zum Trost erhielt ich soeben zwei Bestellungen auf Maschinen wie die zu Scharabas, was mich auf einige Tage aufrecht erhalten wird.

Die zwei Wochen im Delta waren für die Arbeiten, die dort auszuführen waren, und für Ägypten überhaupt eine merkwürdig kurze Zeit, aber lang genug in andrer Beziehung. Vierzehn schlaflose Nächte sind kein Kinderspiel, wenn sie vierzehn arbeitsvolle Tage begleiten. Im gewöhnlichen Sinn, in dem die Bemerkung von den weiblichen Mitgliedern eines wahrheitsliebenden Familienkreises gebraucht wird, darf ich keck behaupten, daß ich zwei Wochen lang »kein Auge zugetan habe«. Waren es nicht die Flöhe, so waren es die Moskitos. Hatten diese genug, so kamen die Sandfliegen; und dann waren die Flöhe wieder nüchtern. Man muß es erlebt haben, um es zu fassen. Dazwischen hielten mich wirkliche Geschäftssorgen munter: ein Schornstein, der ohne die nötigen Hilfsmittel aufgestellt werden mußte und bei dem zwölf Menschenleben auf dem Spiel standen, allerdings nur Fellachin; ein Kondensator, der sich tagelang weigerte, zu kondensieren; eine Expansionssteuerung, die mir im Kopf herumging, anstatt ihre Pflicht anderweitig zu tun. Aber alles findet schließlich sein Ende. Nach einer Woche ließ mich mein armenischer Kammerdiener im Stich. Selbst ihm wurden die Flöhe zuviel. Nach der zweiten und nach dreitägigen Versuchen hatte ich schließlich meine Maschine in musterhaftem Gang. Nubar schrieb, daß er nicht kommen könne, und so packte ich fröhlich auf, um ihm in Kairo zu berichten, wie die Sachen stehen.

Geburtstagsbetrachtungen müssen wir uns heute erlassen. Je älter ich werde, um so lieber erlasse ich sie mir selbst, da ich mich schon längst mit Ergebung in den Flug der Zeit gefügt habe. Ich habe das Alter erreicht, in dem jeder Geburtstag ein Todestag ist – der Todestag eines unwiederbringlichen Jahres. Und deshalb der beste Tag, eine Stunde lang mit lieben Toten zu verkehren. Dazu wird's doch reichen gegen Abend des Tags, an dem auch unser Eduard starb.

Nachschrift.

Zwei Stunden nach Abgang des Brindisidampfers erhielt ich die erwarteten Briefe von England. Erzählte ich Euch, daß wir eine Maschine auf den Vesuv geliefert haben, um Damen und wohlbeleibtere Reisende die letzte, steile Strecke bis an den Krater hinaufzuschleppen? Fowler schreibt, die italienische Gesellschaft, welche die Sache in Händen hat, behaupte, die Maschine tauge nichts. Ich solle unverzüglich nachsehen, woran es fehle, und die Sache in Ordnung bringen. Meine Adresse ist demzufolge für die nächste Zeit Hotel de Russie, Neapel, mein Aufenthalt der Gipfel eines feuerspeienden Bergs. Sichtlich heben sich meine Verhältnisse.


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