Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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114.

Paris, den 6. Mai 1878.

Hundert Zeitungen werden Euch im laufenden halben Jahr die Ausstellungsbauten auf dem Trocadero und dem Marsfelde beschreiben, so daß ich es füglich unterlassen kann, dieses wunderliche Gemisch alter Gedanken in neuer Zusammenstellung zu skizzieren. Es ist ein echtes Erzeugnis unsrer Zeit, die im Gebiet des architektonisch Schönen aufgehört hat Neues zu schaffen, und durch Länge und Breite ersetzt, was ihr an Tiefe abgeht. Trotzdem wird das Gesamtbild in seiner großartigen Ausdehnung und im künftigen Schmuck seines bunten Allerleis Eindruck machen. Nach außen hin geschieht dies heute schon. Der Mittel- und Hintergrund ist entzückend schön: die Seine mit ihren Booten und Brücken, die Stadt mit den Tuilerien, den Kirchen, den häuserbedeckten Hügeln, die lieblichen Landschaften der Umgebung von Paris, die man im bläulichen Schleier der Ferne mehr ahnt als sieht. Dabei im Vordergrund ein unbeschreibliches Wimmeln und Wuseln, ein Rennen und Laufen von Menschen und Tieren, von Lokomotiven und dampfgetriebenen Straßenwalzen, von Schiffen und Lastwagen, eines das andre verdrängend, eines über das andre hineinstürzend. Dort, im Gewirr von zwanzig oder dreißig Arbeitern, eine bronzene Venus, die sich nicht vom Boden erheben will; – hier, im neubeschotterten Grund versinkend, das Gestell eines Dampfhammers, das durch werdende Blumenbeete mühsam dem Industriepalast zukriecht; – hier eine Reihe kräftiger Platanen, die lebendig aus ihrem eignen Grunde gehoben, feierlich die grünen Köpfe schüttelnd auf wunderlichen Lastwagen ihrem neuen Bestimmungsort zuwackeln; – dort an hoher roter Stange ein Riesenfisch aus Papier, den die Chinesen in ihrem Gärtchen soeben probeweis emporziehen; – hier, noch am Boden liegend, die Wappenschilde von zwanzig Königreichen, welche die Vorderseite des demokratischen Palastes der Arbeit zieren werden; – dort, wo das allerdichteste Gedränge und das wildeste Kämpfen der Massen tobt, vortreffliches – »Straßburger Bier!«

In das Innere des Industriepalastes getraue ich mir nicht, Euch heute schon zu führen. Ein Spaziergang über weichen Zement, über halbfertige Fußböden und noch öfter über Berge von Kisten, Balken und Räder, über Zuckerrohr und ausgestopfte Renntiere, zwischen den Beinen Karls des Großen hindurch in einen Haufen persischer Teppiche würde uns zu sehr ermüden. Das Ganze will mir manchmal erscheinen wie der wirreste Traum. Da und dort haben sich wohl schon Gruppen gebildet, die mit dem Chaos nichts mehr zu tun haben, und man fühlt, daß es Licht wird. Es ist aber auch die höchste Zeit.

Mitten in dieser Morgendämmerung ist die Eröffnungsfeierlichkeit vorübergegangen. Es war, wie in Wien, eine mißglückte Theateraufführung. Ich hatte einen der besten Plätze im Trocadero, und doch sah ich wenig und hörte nichts als ein prächtiges, waschechtes Donnerwetter, das im feierlichsten Augenblick über das ganze Schauspiel hereinbrach. Das war wirklich der poetische Teil des Festes. Die Kanonen der Invaliden feuerten gleichzeitig drauflos. Wir alle sahen die kleinen Rauchwölkchen und lauschten mit gespitzten Ohren auf die dumpfen Schläge, die das Triumphfest der Welt ankündigten, als aus den grauen Wolken über uns der erste grelle Blitz und ein fürchterlicher Donnerschlag niederschoß. Wie das anders tönte! Wie da die Erbauer des Turms von Babel auf einmal so klein dasaßen und mit einigem Nervenzittern auf den nächsten Schlag warteten! Und wie dann der Regen in Strömen herabschoß und in den offenen Anlagen die Tausende, für die kein Ausweg vorhanden war, unter einem Meer von Regenschirmen in einem Sumpf von Lehm und weißem Kalkbrei die Festlichkeit genossen! »Der Allmächtige blies und –«; doch nein, zum Glück ließ es der Himmel diesmal bei einem kleinen Memento bewenden. Wir kamen mit aufgestülpten Hosen und nassen Frackschwänzen, vor allem aber mit Unterröcken, die jeder Beschreibung spotteten, aber wir kamen doch mit dem Leben davon.


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