Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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3.

Godurville, den 6. September 1868.

Auch auf einer guten Karte von Belgien wird es schwer werden, meinen jetzigen Aufenthaltsort zu entdecken. Überdies ist selbst Godurville noch nicht mein eigentliches Hauptquartier. Dies ist ein einsames Bauernhäuslein, eine halbe Stunde vom Ort, das den geheimnisvollen Namen »la bête refaite« führt und mitten in Wald und Wiesen auf der Wasserscheide zwischen der Sambre und dem Scheldegebiet am Kanal von Charleroi liegt. Fünfzig Meter unter meinen Füßen bohrt sich ein Tunnel durch den Hügel, in welchem ich seit den letzten Tagen ein unterirdisches Dasein führe. Es handelt sich darum, mit dem kleinsten unsrer Boote den Schleppdienst durch den Tunnel einzurichten, der bis jetzt in mühevollster Weise von Pferden bewältigt wurde. Die Tiere brauchten zum Durchschleppen eines Kahns durch das 1 ¼ Kilometer lange Loch eine volle Stunde, was auch für ihre Geduld endlich zuviel wurde.

Seit zwei Tagen sind wir nun regelmäßig an der Arbeit. Für den Tunnel ist die Aufgabe gelöst. Bouquié, unser blutdürstiger Gegner, der an derselben Stelle vor zwei Jahren mit seiner Kette stecken blieb, soll wütend sein und bot einem Freunde de Mesnils eine Wette von tausend Franken an, daß wir in zwölf Minuten nicht durch denselben hindurchkämen. Gestern machte ich zu meiner eignen Beruhigung einen vorläufigen Versuch und brauchte mit ungenügendem Dampfdruck 10 3/4 Minuten. Der wird sich ärgern! An Schwierigkeiten fehlt es übrigens auch uns noch nicht, zum Beispiel außerhalb des Tunnels, im Steuern um scharfe Biegungen. Das geht, mit sechs oder acht Kähnen hinter uns, keineswegs so gut als es sollte. Wie wir drüber wegkommen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen – oder auch nicht. –

Auf der Maas liegt jetzt ein Drahtseil, von Lüttich bis Huy, zwölf Stunden lang. Die Fahrt durch das wundervolle Maastal mit unserm Schiff, das wie ein kleiner Monitor aussieht, ist ein wirkliches Vergnügen. Natürlich konnte ich es nicht unbefangen genießen, obgleich unsre Maschine fast nichts zu wünschen übrig läßt. Aber bei Versuchen in größerem Maßstabe tauchen mancherlei Schwierigkeiten auf, an die auch kluge Leute nicht dachten. Ein Kinderspiel ist es eben nicht, Gedanken in Fleisch und Blut, in Holz und Eisen zu verwandeln.

Eine neue Gesellschaft in Gent macht munter vorwärts. In acht Tagen werde ich unser drittes Schiff für sie nach Antwerpen und von dort auf einen holländischen Kanal bringen.

Aber genug für heute; Belgien ist ein ruhiges, geregeltes, geschäftiges Ländchen, worin es kleine Winkel gibt, in denen zeitenweise nichts passiert. Godurville ist einer davon.


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