Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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156.

Kairo, den 2. Januar 1881.

Warum ich schon wieder in Ägypten bin? Ein arabisches Sprichwort sagt: Wer einmal Nilwasser getrunken hat, läßt nicht davon. Doch dies ist nicht mein Fall. Ich muß weiter ausholen.

Ihr erinnert Euch, wie ich das letztenmal eingehende Versuche mit Nubar-Paschas Maschine angestellt hatte und siegesfreudig von meinem Aufenthalt in Scharabas zurückkehrte. In Alexandrien traf ich einen in Ägypten ansässigen englischen Mechanikus und Müller namens Redshaw, der sich nach einer neuen Dampfmaschine umsah. Mein triumphierendes Gesicht von Scharabas und die feierlichen Versprechungen unsrer Alexandriner Vertreter entschieden die Sache. Redshaw bestellte; doch unter noch strengeren Bedingungen als Nubar. Dies hatte seinen Grund. In der nächsten Straße saß ein Franzose, der bereit war, zweimal weniger Kohle zu versprechen als wir. Denn die Zeiten waren hart, und der Magen und Geldbeutel der biedersten Agenten schrien lauter als ihr Gewissen. Was sie übrigens zu jeder Zeit tun.

Ich schrieb nach Leeds, was geschehen müsse, um den hochgeschraubten Anforderungen entsprechen zu können. Leider war dieser Brief unsern Leedser Köpfen, will sagen: Häuptern, unbequem, und da ich weit weg war und blieb, so wurde er ruhig ad acta gelegt. Genau an dem Tag, an dem die Maschine abgehen sollte, kam ich selbst in Leeds an. Ich bemerkte sofort, daß nichts geschehen war, was ich für nötig gehalten hatte. Trotzdem mußte die Maschine gehen, wenn wir Redshaw nicht zur Verzweiflung treiben wollten. Wir waren auch so schon um einen Monat im Rückstand. Und so ging sie.

Die Verhältnisse in Leeds gefallen mir überhaupt seit einiger Zeit in steigendem Grad weniger. Der gute alte Burton, der Erfinder der Klappentrommel, der unter Greig mehr als ein Jahrzehnt lang als »manager« die Werkstätten leitete, mußte zweifellos eine Hilfskraft erhalten, die ihn mit der Zeit zu ersetzen hat. Hierfür kam Barnet Fowler, der jüngste Bruder des verstorbenen John Fowler, hierher, ein Herr, der dieser Stellung kaum gewachsen ist und sich in Leeds unbehaglich fühlt und langweilt. Man spürt dies an allen Enden und Ecken der Fabrik, und auch ich bekomme es zu fühlen, da ich zu öfterem draußen in der Welt die Fehler zu büßen habe, die in Leeds gemacht werden. Dazu zu schweigen ist nicht meine Aufgabe, auch nicht im Interesse des Geschäfts. So mag es gekommen sein, daß mein Verhältnis zu Barnet Fowler, wenn auch äußerlich normal, nicht das geworden ist, das mir in früheren Jahren die Arbeit mit und unter den Fowlers zum Vergnügen machte. Doch das sind persönliche Dinge von geringer Bedeutung. Wichtiger ist die Frage, ob und wie lange die Fabrik diese Art von Leitung ohne Schaden ertragen kann.

So kamen jetzt Stimmen aus Ägypten, die uns nicht gefielen. Redshaw jammerte bitter über seinen Kohlenverbrauch; unsre Agenten schrieben betrübte Briefe: »Es sei nichts mit unsern Verbundmaschinen.« Die Sache selbst war an sich eine Kleinigkeit. Aber die Folgen eines derart drohenden Fehlschlags sind für künftige Geschäfte von Bedeutung. Nun sollte ich eiligst nach Ägypten, um das sinkende Schiff zu retten. Zugleich wurde in reumütiger Zerknirschung beschlossen, all die von mir vorgeschlagenen Verbesserungen zu machen und nachzuschicken.

Für so gar gefährlich hielt ich die Sache nicht; denn ich wußte aus Erfahrung, daß die Klagen über Kohlenverbrauch sicher kommen würden, selbst wenn die Maschine mehr als das Versprochene geleistet hätte. Die Menschen sind nie zufrieden, wenn man ihnen nicht greifbar beweist, daß sie es sein müssen.

Sobald ich in Alexandrien Nachricht von Redshaw erhalten hatte, brach ich nach Zifta auf. Das Städtchen liegt oberhalb Mansura am Damiettearm des Nils und ist ohne Mühe und Abenteuer von Tanta aus mit der Bahn zu erreichen. Die bekannten Deltabilder flogen oder krochen wieder einmal an mir vorbei, grün und sonnig, in ihrer flachen, ländlichen Einförmigkeit, überall zeigen sich Spuren einer wieder erwachenden Wohlhabenheit der Fellachin, die unter der tollen Regierung Ismael-Paschas nahezu zermalmt war. In Tanta, hinter der Moschee des großen Heiligen Said el Bedawi, dampft und raucht es wie in einem kleinen Sheffield; eine gerade Straße zerspaltet den Ameisenbau der alten arabischen Stadt, und die berühmte Messe entfaltet sich auf Boulevards, vor stattlichen, blendendweißen Häusern mit grünen Fensterläden. Doch lebt auch das griechische Kneipchen noch, in dem ich vor anderthalb Jahrzehnten die Schrecken von mehr als einer arabischen Nacht durchgelitten habe.

Redshaw empfing mich gastfreundlich in seinem Haus. Er bewohnt den einen Flügel einer abgebrannten vizeköniglichen Flachsfabrik. In einem andern Winkel des phantastischen Baus, durch dessen hundert leere Fenster Mond und Sonne scheinen, hat er seine Mühle aufgestellt. Ein noch erhaltener Dachboden beherbergt eine Menagerie von Hühnern, Truthähnen, Gänsen und Kaninchen. Ich fand seit meinen Kinderjahren noch nie etwas, das so sehr einer Arche Noahs glich.

Dann ging's an die Arbeit, bei der mir von Stunde zu Stunde das Herz leichter wurde. Nicht des Erfolgs, sondern der Arbeit wegen. Ich bin nun einmal so.

Aber auch der Erfolg war am zweiten Tag, nachdem ich herausgefunden, wo Redshaw in seinen Berechnungen gefehlt hatte, alles, was wir erwarten konnten, und mein kritischer Freund hatte dies mit vielem, nicht unfreundlichem Murren zuzugeben. Anderseits gab ich, schlangenklug, wie ich bin, gleichfalls etliches zu, an dem sein Herz hing, und so schieden wir für den Augenblick in Fried' und Freundschaft.


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