Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

146.

Leeds, den 31. Oktober 1880.

Im Zusammenhang mit meinen Entwürfen für Luftdruckmaschinen komme ich öfters mit Oberst Beaumont, dem Erfinder des neuesten Felsbohrers, in Berührung. Wir haben ihm mehrere Maschinen gebaut, die bei Folkestone am künftigen Kanaltunnel bohren, mit dem es mehr und mehr ernst wird. Beaumont bewegt sich mannigfach in den Kreisen der Erfinder von Profession – einer wunderlicheren Rasse Menschen als die der Poeten –, erforscht ihre Gedanken und verwertet seine Beute im kommerziellen Leben, was seine erfinderischen Freunde nie zu tun imstande wären. Nebenbei ist er Parlamentsmitglied, ein angenehmer Gesellschafter und ein glänzender Erzähler. Einer seiner Bekannten in Kent, ein reicher alter Herr, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Problem des Schneiders von Ulm, einer Flugmaschine. Sie war fertig: ein paar ungeheure Flügel in Verbindung mit einer großen Wurst aus Gas, die sich der menschliche Vogel um den Leib schnallt wie einen Schwimmring. Um jedoch den ersten Versuch zu machen, war es nötig, in einer gewissen Höhe vom Boden, zum Beispiel vom Dach eines Hauses herunter, anzufangen; denn auf flachem Boden ließen sich die Flügel nicht entfalten. Umsonst suchte der Erfinder seit Jahren einen seiner Freunde zu bereden, diesen Versuch zu machen. Umsonst erklärte er ihnen, daß ihn nur sein Alter und seine Wohlbeleibtheit abhalten, selbst zu zeigen, wie leicht und sicher sich die Maschine handhaben lasse. Sie bewunderten seine sinnreichen Gedanken, fanden die Gaswurst reizend und die Riesenflügel erstaunlich praktisch, aber sie blieben unerbittlich. Verzweifelnd gab Herr Bromley endlich seine Freunde auf und wendete sich an seinen Hausdiener, seinen Kutscher und seinen Gärtner. Nach Monaten schien der Kutscher zu erweichen. Er hatte das Rüstzeug schon mehrmals angezogen; Zuspruch und Versprechungen seines Herrn überwanden die erste Scheu. Unter dem Einfluß stärkender Getränke brachte ihn dieser endlich auf das flache Dach der Villa. Aber hier versagte alle Beredsamkeit, den Kutscher zum Gebrauch der bereits entfalteten Flügel zu bewegen. In Verzweiflung über die menschliche Dummheit und des Erfolges sicher gab ihm Bromley endlich einen kräftigen Stoß. Der Vogel flog und brach im nächsten Blumenbeet ein Bein. Er liegt derzeit, reichlich belohnt von dem etwas entmutigten Erfinder und deshalb nicht unzufrieden, in einem Londoner Spital.

Es sei merkwürdig, erzählte der Oberst gestern, wie die allergrausigsten Projekte zur Zerstörung ganzer Flotten oder zur Vernichtung von Regimentern mit einem Schlag fast immer von der Geistlichkeit ausgehen, und komisch, wie diese Herren fast alle ihre Erfindung mit den gleichen Worten einführen: »Obgleich ein Diener des Friedens, halte ich es doch für meine Pflicht, soweit es in meinen geringen Kräften steht, zur Verteidigung unsers ruhmreichen Vaterlands beizutragen und so weiter.« – Einer dieser friedlichen geistlichen Landesverteidiger bot kürzlich dem Kriegsministerium ein Gewehr an, das, wenn der Drücker nur einmal berührt wurde, zehn Schüsse hintereinander abgeben sollte. Eine Probeflinte wurde nach des Pfarrers Angaben in Woolwich angefertigt, und er sodann zu den Versuchen eingeladen. Das harmlose Männchen in Schwarz erschien auf dem Schießplatz unter den Offizieren, die sich vergebens bemühten, dem Erfinder klarzumachen, daß es seine Pflicht sei, sein eignes Gewehr wenigstens zum erstenmal selbst loszuschießen. Der Mann des Friedens wollte sich hierzu nicht verstehen, indem er sich lebhaft auf sein Amt berief. Ein Unteroffizier, der den Wink seiner Vorgesetzten begriffen hatte, weigerte sich ebenfalls hartnäckig, das Mordwerkzeug, das zehnmal von selbst loszugehen versprach, anzulegen. Man wandte sich wieder an den Herrn Pastor, der endlich blau vor Zorn, Ärger und Angst den Schießplatz zu verlassen drohte. Schließlich, um ihn zu versöhnen, wurde die Flinte an einen Pfahl gebunden und der Drücker an eine Schnur befestigt, so daß aus sicherer Entfernung geschossen werden konnte. Drei Schüsse gingen programmgemäß los, beim vierten aber brach das Gewehr vom Pfahl ab und fiel auf den Boden, wo es wie ein Frosch umherhüpfte und die sechs übrigen Schüsse nach allen Richtungen abgab. Der Schrecken und die Flucht des Herrn Pastors vor seiner eignen Erfindung beendeten die Versuche. Er habe sich seit der Zeit nicht mehr blicken lassen.


 << zurück weiter >>