Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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68.

Wien, den 17. Juni 1873.

Ein echtes, kleines Wiener Erlebnis. Soeben unterbrach mich ein feingeschniegelter Vertreter der Ausstellungszeitung und wünschte für den Aufsatz, den ich auf die Bitte von Hofrat Dr. Hamm über Dampfkultur geschrieben hatte, und der in einer der ersten Nummern des Blatts zu lesen ist, eine Bezahlung von dreihundert Gulden zu – erhalten. Er war sehr erstaunt, als ich ihn zu meinem Tempel hinauswarf. Auch der k.k. Hofrat wird über den Brief erstaunt sein, den ich ihm soeben in etwas warmer Stimmung schrieb.

Die Ereignisse der letzten Woche waren fast einförmig in ihrem bunten Allerlei. Alles ist nur ein unruhiges, hastiges Hinstreifen über die Oberfläche. Niemand hat Zeit, ernsthaft zu schaffen, zu denken, zu sehen. Wem das große Kaleidoskop zum erstenmal gereicht wird, freut sich der wunderlichen Figuren. Die andern schütteln die Glasscherben und bunten Steinchen mit einem gewissen Widerwillen heraus, lachen oder ärgern sich, daß es Menschen gibt, die auf diese breitspurigste der menschlichen Kindereien noch etwas halten.

Man darf dies natürlich nicht überall sagen, wenn man nicht böses Blut machen will, wozu niemand verpflichtet ist. Die Tiraden und Rhapsodien der Ausstellungspoeten klingen so hübsch; eine solche Masse großer und kleiner Eitelkeiten blüht und gedeiht so vortrefflich im Schatten des großen Upasbaumes. Unter uns ist es aber doch wohl gestattet, ihn etwas näher zu betrachten.

Mit dem Nutzen der Weltausstellungen ist es nicht mehr weit her. Was sie möglich gemacht hat, der rasche tägliche Verkehr unter den Völkern zwischen Weltteil und Weltteil, macht sie mit jedem Tag auch unnötiger. Sie bieten uns nichts Neues; denn niemand wartet auf eine Weltausstellung, um seine Leistungen der Welt zu zeigen. Sie fördern Handel und Gewerbe nur da und nur so, wie und wo es ein gewöhnlicher Jahrmarkt auch tut. Was den durch sie gewährleisteten Weltfrieden anbelangt, so weiß selbst der Mindergebildete, welch ein blödsinniges Geschwätz dies ist. Sogar der freundliche persönliche Verkehr zwischen den Gewerbetreibenden verschiedener Nationen, was immer er wert sein mag, wird überwogen von den täglichen Reibungen zwischen sämtlichen Beteiligten bis herab zu den unternehmenden Ausstellern von Stiefelwichse und Kopiertinte, welche die weltbeglückende Gelegenheit zusammenführt. Was bleibt dann übrig?

Eine Pyramide wie die von Cheops, in moderner Form, kolossal, glänzend, erdrückend, nutzlos. Eine Eintagspyramide, mit Schaum- und Flittergold behängt und mit zwanzig Millionen zu bezahlen. Ich bejammere nicht das Geld, das mich nichts angeht und das ohnedies im Lande Österreich den Weg alles Fleisches angetreten hat. Mich ärgert die Arbeit der Tausende von Menschen, die vergeudete Zeit, die verschwendete Kraft, welche nötig war, um ein Ding zu schaffen, das morgen weggeblasen ist. Eine solche Torheit beging selbst der alte Cheops nicht, über den wir die Köpfe schütteln. Was er mit seinen Millionen von Zwiebeln und Linsen geschaffen hat, bewegt noch heute die Welt. Was wir hier treiben, ist in fünf Jahren vergessen.

Ich fühle, daß ich das Zeug in mir hätte, hier in meiner Bude als Jeremias der Weltausstellung zu zeugen. Und doch hab' ich vor mir selber nicht den Mut dazu. Es bleibt ein unangenehmes Gefühl, die Träume jüngerer Jahre verduften zu sehen.

Zweifellos läßt sich der Sache auch eine andre Seite abgewinnen. Wahr und wunderlich ist, daß alle bedeutenden Fabriken eine Ausstellung heute noch mit dem Gedanken beschicken, ein unmittelbarer Nutzen müsse dabei herauskommen, daß sie ohne Ausnahme sich jedesmal vom Gegenteil überzeugen und daß sie das nächstemal genau mit denselben Hoffnungen ins Zeug gehen. So geht's auch uns, sonderlich mir. Man will schlechterdings den Unterschied zwischen der Zeit des Säens und der des Erntens nicht gelten lassen. Ausstellungen sind unsre Saatzeit. Manche behaupten, ich säe nicht schlecht. Ich weiß nur, daß es mir das unangenehmste Geschäft der Welt ist. Vor einigen Tagen war Fowler hier. Sein Besuch war mir eine angenehme Unterbrechung. Er sieht die Sache ruhig und richtig an und stärkte mir den Glauben.

Während derselben Woche haben die Preisrichter ihre Arbeiten begonnen. Ein unverfälschter Schwindel! Und gerade auf unserm Gebiet, wo man den Herren nichts weiter zumutet, als sich aus einer unlöslichen Aufgabe mit Anstand herauszuziehen! Guter Wille – Gezappel – Impotenz – Ärger – Verzweiflung – und schließlich eine allgemeine, weinerliche Verstimmung über Sonne, Mond und Sterne, das ist ungefähr das Bild der Ausstellungsleitung in Richterangelegenheiten. Was von dem Urteil zu halten ist, das die Aussteller glücklich oder unglücklich machen soll, weiß nur der, der in die Tiefen dieses Hexenkessels hineinzusehen Gelegenheit hat. Die Engländer haben sich von der ganzen Geschichte feierlich zurückgezogen. Darüber sind die Österreicher bitterböse, so daß zum Beispiel gestern der Vorstand der landwirtschaftlichen Abteilung Fremden, die sich nach dem in Gutenhof arbeitenden Dampfpflug erkundigten, kurzweg erklärte: »der englische Humbug gehe nicht!« Dies sind die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Nationen der Erde, die eine Weltausstellung hervorruft.

Erfreulicher war der Schluß der letzten Woche. Ritter Horsky, mein alter neuer Freund in Böhmen, hatte etwa zweihundert der hervorragendsten landwirtschaftlichen Größen, die derzeit in Wien tagen, zur Besichtigung seiner Güter eingeladen. Ich selbst ging mit meinen Leuten schon tags zuvor nach Horskyfeld, um den dortigen Dampfpflug für eine Festvorstellung bereitzustellen. Es sollte dabei der von mir im letzten Winter konstruierte »Horskysche Untergrundpflug« zum erstenmal öffentlich auftreten. Ein Extrazug brachte die Leute von Wien; in achtzig Droschken zogen wir auf den Vorwerken umher; der Dampfpflug tat seine Schuldigkeit, das Riesenfestprogramm wurde glänzend durchgeführt, ein großes Mahl, voll süßen Weins und entsprechenden Reden, gab der Sache ihre Weihe, und ein Extrazug brachte uns nach zwei durchfahrenen Nächten und einem Tag, an dessen Anstrengungen sich kein Holzspälter hätte schämen dürfen, nach Wien zurück. Alles im Dienst der Wissenschaft, des Fortschritts, der Zivilisation. Nachher, oder schon auf dem Heimweg sagten die meisten in ihrer Dankbarkeit: »der alte Horsky sei doch ein rechter Narr, sich alle diese Kosten zu machen!«


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