Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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66.

Wien, den 7. Mai 1873.

Wieder schreibe ich spitzbübischerweise in meinem Arbeitstempel und in Geschäftsstunden. Denn in der freien Zeit habe ich so viel zu tun, daß ich unmöglich Vater- und Mutterpflichten nachkommen könnte. Auch bin ich endlich auf den Gedanken gekommen, »Gevatter Schneider und Handschuhmacher« die Geheimnisse der Dampfpflügerei selbst herausklügeln zu lassen und ihre gegenseitigen Erklärungen mit liebevoller Ruhe anzuhören, ohne sie durch unhöfliches Besserwissenwollen zu stören. Die Welt dreht sich auch so.

Die Ausstellung ist eröffnet. Eure Zeitungen beschreiben Euch das wohl alles besser als ich. Machen sie's halbwegs wie die Wiener Blätter, so bekommt Ihr einen viel schöneren Begriff von der Sache als wir, die wir mitten drin standen. Ein kalter, nasser Morgen; dann der erste schaurige Regennachmittag seit Monaten. Die hundert schmucken Uniformen erdrückt und verloren unter tausend schwarzen Fräcken und abertausend unscheinbaren Überziehern, überall das Gefühl, daß ein feierlicher Akt begangen werden solle ohne Feierlichkeit. Überall bei den eigentlich Beteiligten das Bewußtsein, daß er eine riesige Lüge sei. Der gewaltige Raum unter der Rotunde war leer; der halbfertige Springbrunnen in ihrer Mitte wurde unter Blumen versteckt. Wasser gab es noch nicht. Eine fast ärmliche Plattform für die hohen und höchsten Herrschaften; denn alles Menschliche muß sich klein ausnehmen in diesen Räumen. Links eine gottverlassene Stearinkerzenpyramide. Rechts ein gewaltiger französischer Bronzelöwe, der sich mürrisch aufrichtet, das einzig Große in dem ganzen breiten Bilde. Unter dem alles überragenden Wüstenkönig Kopf an Kopf die Tausend, welche drei Stunden lang die Rockkrägen ihrer Vordermänner studierten, um sich dann schmachtend um ein Glas Bier zu schlagen und triefend nach Hause zu drängen.

Daß man von den Reden nichts hörte, war kein Schaden. Von der Musik nahm sich das gute (gut im besten Sinn des Worts) österreichische Nationallied prächtig aus. Der alte, schlichte Haydn! Wie doch die Einfachheit eines wirklich großen und schönen Gedankens durch all den erlogenen Prunk durchschlägt, auch wenn er vor hundert Jahren gedacht wurde! Händels Chor wollte nicht recht verfangen. Mit einem Umgang der höchsten Herrschaften, bei dem alle Kunst dazu gehörte, sie nicht in leere Kästen hineinzuführen und über volle, verschlossene Kisten belehren zu müssen, war das Fest zu Ende. Eine Kanonensalve sollte auch noch gegeben werden. Aber der Signalmann auf dem Dach der Rotunde mißverstand das Zeichen und so behielt die Feierlichkeit einen streng bürgerlichen Charakter.

Summa Summarum: Niemand hat etwas verloren, der diesen erhebenden Tag nicht mitgemacht. Manche dagegen, die ihn mitgemacht, verloren gar manches. Etliche Unerfahrene zum Beispiel den Rest ihrer Ausstellungsillusionen, einer sogar einen Stephansorden. Und er weiß es noch nicht einmal; denn der Orden wurde gefunden, der Eigentümer aber noch nicht.

Und jetzt geht natürlich das Gehämmer und Gezimmer weiter, als wäre kein Eröffnungstag gewesen. In unsrer Abteilung des englischen landwirtschaftlichen Maschinenwesens ist nahezu alles fertig; ich selbst bin's ganz.


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