Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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87.

Ferrara, den 8. Januar 1875.

Ein halber Tag Wartezeit, ehe ich meine Rückreise antreten kann. Das stille Ferrara liegt nicht mehr an einer Durchgangslinie des Weltverkehrs.

Hochinteressant sind die Verhältnisse am untern Po trotzdem, wie sie der Kampf mit dem Strom gestaltet hat, der zwischen hohen Dämmen hinziehend bei jedem Hochwasser die ganze Gegend in ein Meer zu verwandeln droht.

Die Verteidigung gegen diese Gefahr führte schon in uralten Zeiten zur Bildung sogenannter Konsortien der Grundbesitzer, die in den Lagunen und Schilfteichen des östlichen Teils der Provinz Ferrara ansässig sind. Im zweiten Konsortium, mit dem ich zu tun habe, sind nur zwei Fünftel des Landes bebaut, drei Fünftel sind eine grüne Binsenwüste, baumlos und menschenleer und je nach den Jahreszeiten auf weite Strecken fußtief unter Wasser. Dieses Land ist seit drei Jahren Eigentum der Ferrara-Land-Reclamation-Company, die es zu entwässern und unter den Pflug zu bringen versucht.

Ein neuerdings gegrabener Kanal führt das Wasser der 5000 Hektare ihres Gebiets in dessen südöstlicher Ecke zusammen, wo es bei Codigoro von einem Pumpwerk von 2400 Pferdekräften in den Po di Volano geworfen wird. Die nächste Aufgabe ist nunmehr, so rasch als möglich die See von gestern in einen Garten für morgen umzuwandeln.

Im Gebiet der Goetheschen Poesie ist dies bekanntlich eine Beschäftigung, mit der sich ein blinder Faust, nach dem Studium von Theologie, Philosophie und einem gründlichen Kursus allgemeiner Lebensschulbildung, den Abend seiner Tage versüßt. In Wirklichkeit heißt es die Augen sehr weit aufsperren, um ein solches Unternehmen aus dem Schlamm ins Trockene zu ziehen. So scheinen wenigstens die englischen Aktionäre zu denken, die sich umsonst nach einem blinden Faust umsahen. Schließlich wurde Fowler auf die Sache aufmerksam gemacht und nach einigen Umschweifen ich auf den Kampfplatz geschickt.

Mit Reisebeschreibungen, die in Leeds oder London beginnen, werde ich Euch für alle Zukunft verschonen. Acht Tage lang habe ich im »Land, wo die Zitronen« – erfroren sind, Menschen und Vieh, Bodenbeschaffenheit und Wassermengen mit Eifer studiert. Mein Bericht, von unitalienischer Gewissenhaftigkeit, hat in London großes Gefallen erregt. Er soll dort ins Italienische übersetzt werden und sodann zu entsprechenden Maßregeln führen. Gestern erhielt ich zwei Telegramme. Das erste zeigt mir an, daß ein Aktionär dieses Schriftstück in einem Bahnzug verloren habe; das zweite besagt, daß Seiten 1–12 wieder gefunden seien. Zum Glück ist das Ganze eine Kopie. So kann ich den Leuten billig wieder auf den Strumpf helfen.


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