Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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139.

Neapel, den 30. Mai 1880.

Neapolitanische Briefe will ich Euch in Leeds schreiben. Man hat hier wirklich keine Zeit, die schönen Stunden mit Tinte zu verklecksen. In der ersten Woche schien mir jeder Augenblick, den ich zu Haus zubrachte, ein Raub an der köstlichen Gegenwart; in der zweiten nahmen mich die Geschäfte vom frühen Morgen bis in die späte Nacht in Anspruch. Hiervon zunächst ein paar Worte.

Der Brief aus Leeds, der mich von Alexandrien nach Neapel sprengte, sagte bloß, daß wir auf dem Vesuv mit unsrer Maschine »in a mess« (in Schwierigkeiten) seien und daß ich die Sache untersuchen und in Ordnung bringen möge. – Ich gedachte deshalb, es schlau zu machen, wenn ich meinen ersten Tag in Neapel dazu verwendete, inkognito den Stand der Dinge auszukundschaften und den Vesuv und seine Bahn als neugieriger Vergnügungsreisender zu besuchen. Ein herrlicher Ausflug! Nur wurde mir am Fuß des steilen Kegels, der aus den Weingärten der Lacrimae Christi jäh aufsteigt, und wo ein paar weiße Häuschen, weithin sichtbar, die Station und das untere Ende der Vesuvbahn bezeichnen, der Eintritt in das Maschinenhaus mit Höflichkeit, jedoch mit mehr als nötiger Entschiedenheit verweigert. Ich ließ deshalb mein Inkognito fallen. Aber auch das half nichts. Die Maschine sei nicht von Fowler & Co. und ohne einen Erlaubnisschein der Gesellschaft in Resina oder Neapel könne ich nicht eintreten. Für den Augenblick war nichts zu machen, als mich ausschließlich mit der schönen, feuerspeienden Natur zu befassen. Was ich denn auch mit vielem Genuß tat.

Später klärte sich die Sache dahin auf, daß zurzeit alles in scheinbar unentwirrbarer Verwirrung lag. Bankiers, Erfinder, Konzessionäre, Unternehmer, Direktoren – niemand wußte, wer Koch oder Kellner war. Der erste Direktor hatte soeben den ersten Ingenieur geohrfeigt, oder umgekehrt, und Sekundanten und Advokaten warfen sich wechselweise zur Türe hinaus.

Zweifellos: es war eine Drahtseilbahn neuester und wunderlichster Art. Ihr Erfinder, Olivieri, hatte bei uns eine Maschine bestellt, um seine Drahtseile in Bewegung zu setzen. Wie die meisten Erfinder hatte er sich aber bezüglich des Kraftbedarfs seines Systems gewaltig getäuscht. Als man die Wagen in Bewegung setzen wollte, fand sich, daß die Maschine nicht halb stark genug war. Daraus ergab sich natürlich zunächst ein heftiger Briefwechsel mit Leeds, währenddessen die Direktoren der Bahn, die nicht warten wollten, eine andre, fast dreimal so große Maschine kauften, die in Neapel auf Lager stand. Als ich ankam, fand ich diese bereits in Tätigkeit und unser armes Maschinchen in einer Ecke, verbannt und verlassen.

Da ich niemand entdecken konnte, der irgendwelche Weisungen zu geben vermochte, ging ich auf eigne Faust zu Werk, bestellte Kohlen, ließ eine Bremse machen, stellte die Maschine wieder auf, kurz, traf alle Vorbereitungen, um wenigstens mir selbst zu beweisen, daß sie die Kraft abgab, die bestellt worden war.

Inmitten dieser Geschichten und Geschäfte stehe ich noch. Die Maschine ist nämlich leider tatsächlich nicht in Ordnung, und wo der Fehler sitzt, ist mir nach den Versuchen der letzten drei Tage noch nicht klar, was mir die unvergleichlich schöne Fernsicht, die ich täglich genieße, nicht wenig verbittert. Schließlich kann man in allen Lagen des Lebens nicht mehr tun als seine Pflicht, und dabei sollte auch ich mich beruhigen können.

Aber jetzt doch noch ein paar Worte, die sich nicht auf Kohlenverbrauch und Kesselstärke beziehen.

Ein Bild dieser herrlichen Bucht geben zu wollen, die jeden Morgen von Sorrent bis Ischia wie ein Stück Himmel vor mir liegt, wäre ein vergebliches Unterfangen. In der ersten Woche, in der ich auf meine Bremse wartete, hatte ich Zeit, mich auch anderwärts ein wenig umzusehen. Den Posilip, Pompeji, Herkulanum, Castellamare, Camaldoli, selbst Capri konnte ich wenigstens mit der Muße des neunzehnten Jahrhunderts besuchen. Den Vesuv selbst, den ich täglich besteige, kenne ich nunmehr bereits wie wenige Vergnügungsreisende, und sehe mit Erstaunen, welche Veränderungen selbst nur vierzehn Tage an seinem Krater hervorbringen. Vorgestern war ich wieder auf dem höchsten Gipfel. Es war während und nach einem lebhafteren kleinen Ausbruch, der einen zweiten Hilfskrater geschaffen hatte. Das Gepolter in den Eingeweiden der Erde, das Zischen des Dampfes im Innern des Berges, das Prasseln der fallenden Steine ist mir zu einer neuen Art Musik geworden, die mich in allen Alltagsmühen tröstet. Von wirklicher Gefahr ist zurzeit keine Rede, überdies sagt Schiller: »Der scheut den Berg nicht, der darauf« – Bremsversuche anzustellen hat. – Und dann die Lacrimae Christi!

Ich schließe, um meinen Kaffee unter dem Sternenhimmel einer neapolitanischen Mainacht zu trinken. Ein Deutscher hat wenige neapolitanische Mainächte im Leben und muß zusehen, sie zu genießen. Morgen, in aller Frühe, klettere ich wieder, hoch zu Roß, dem rauchenden Gipfel zu. Umsonst bekomm' auch ich meine Lebensfreuden nicht.


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