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12. Der Weih', der König und der Jäger

Seiner Durchlauchtigsten Hoheit dem Prinzen von Conti

Gut sind die Götter, und so heischen sie's als Pflicht
Auch von den Königen: die Milde
Ist ihrer Rechte schönstes, nicht
Der Rache süße Lust, die wilde.
So denkst auch du, mein Prinz. Der Zorn erlischt im Nu
In deinem Herzen, kaum daß er in ihm entbrannte;
Achill, der, seines Grimms nicht Meister, ihn nicht bannte,
War darin minder Held als du.
Nur die, die hundertfach Gutes getan, verdienen,
Ein Bild der goldnen Zeit, den schönen Namen » Held«.
Unter den Großen gibt's heut wenig solche; ihnen
Dankt für das Böse, das sie nicht getan, die Welt.
Fern, nachzuahmen ihr Exempel,
Sichert manch hehre Tat dir einen Ruhmestempel.
Apollo, des Olymps erhabener Genoß,
Will deines Namens Ruhm auf seiner Leier singen.
Ich weiß, dein harrt man in der Götter hohem Schloß;
Genügt es dir, dort ein Jahrhundert zuzubringen?
Auf ein Jahrhundert nimmt Hymen bei euch Quartier;
O möchten seine Wonnen dir
Ein unaussprechlich Glück bereiten,
Das kaum umschränkt vom Lauf der Zeiten!
Du und die Fürstin, ihr seid solchen Preises wert;
Zeug' ist der Liebreiz, der beschert
Ihr ward, und all' die Wundergaben,
Womit verschwenderisch der Himmel euch beglückt
Und, da sie in euch selbst nur ihresgleichen haben,
Euch eure Jugend hold geschmückt.
Durch Bourbons Geist gewürzt muß all' die Anmut scheinen:
Der Himmel wollt' in ihm vereinen,
Was immer Ehr' und Würden bracht',
Mit dem, was unsre Lieb' entfacht.
Mir ziemt es nicht, zur Schau zu legen eure Wonnen;
Drum schweig' ich jetzt. Nun gebet acht,
Was ein Raubvogel einst begonnen.
Ein Jäger fing im Nest einen lebend'gen Weih';
Drauf fand der Biedermann, es sei
Doch gut, wenn zum Geschenk er ihn dem Fürsten mache.
Die Seltenheit des Fangs erhöht den Wert der Sache.
Der Vogel, den huldreichst der König nicht verschmäht –
Wenn wahr ist, was in diesem Falle
Erzählt wird – packt mit scharfer Kralle
Die Nase Seiner Majestät.
– Des Königs Nase? Wie? – Des Königs, zweifelsohne.
– Dann trug er damals wohl nicht Zepter oder Krone?
– Ob er sie trug, ob nicht, ist gleich: der Vogel hackt
Des Königs Nase, wie er jede andre packt.
Der Schranzen Angstgeschrei und Jammer zu beschreiben,
Wär' nur verlorne Müh'. Des Königs Schmerz verrät
Kein einz'ger Laut; zu schrei'n ziemt nicht der Majestät,
Ihrer ist's würdig stumm zu bleiben.
Der Weih' wich nicht vom Platz, nicht einen Augenblick
Kann kürzen man das Mißgeschick.
Sein Herr lockt ihn zu sich, erschöpft die Mittel alle,
Zeigt ihm das Federspiel, die Faust – vergebne Müh'!
Schon glaubt man, daß bis morgen früh
Das gottverdammte Tier mit seiner frechen Kralle,
Durch all das Lärmen unbeirrt,
Auf der gesalbten Nas' über Nacht nisten wird;
Und mit Gewalt ist bei dem Weih' nichts auszurichten.
Da läßt er los; es spricht der Fürst: »Nicht weiter grollt
Dem Weih' noch auch dem Mann, der mich beschenken wollt'!
Die beiden handelten nach ihres Amtes Pflichten,
Jener als Weih', und der als Weidmann. Wohl weiß ich,
Was Königen geziemt, und will drum gnädiglich
Auf jede Sühne nun verzichten.«
Die Schranzen waren voll Bewundrung: jederzeit
Preisen sie Taten, die zu tun sie nie bereit;
Selbst wen'gen Fürsten möcht' solch Muster wohl behagen.
Der Jäger konnt' von Glück noch sagen!
Des' Tiers und seine Schuld war, daß sie ahnungslos
In die Gefahr, dem Herrn zu nah zu kommen, rannten,
Da sie bisher nichts weiter kannten
Als ihren Wald – war denn das Übel gar so groß?

Pilpay verlegt die Mär fern zu des Ganges Strande.
Kein menschlich Wesen dort zu Lande
Legt Hand an Tiere, wohl niemand vergießt ihr Blut;
Dem König, tät' er's selbst, bekäm' es nimmer gut.
»Wer weiß, ob dieses Tier« das hält man uns entgegen
»Nicht mit vor Troja einst gelegen?
Vielleicht war es ein Fürst, ein weitberühmter Held,
Helmbuschumwogt und hochgestellt!
Was einst es war, ist es vielleicht noch heut. Wir ehren
Ja der Pythagoräer Lehren,
Daß mit dem Tiergeschlecht wir tauschen die Gestalt,
Bald Geier sind und Tauben bald,
Heut Menschen, morgen Vögel wieder
Mit luftdurchrauschendem Gefieder.«

Da in zwei Formen diese Mär
Bekannt ist, will ich auch die andre Lesart geben.

Ein Falkner fing einst auf der Jagd von ungefähr
'nen Weih' und bracht' ihn, da's doch kaum vorkommt im Leben,
Dem König zum Geschenke her
Als große Seltenheit nur eben;
Nur alle hundert Jahr' ereignet sich der Fall,
Das Nonplusultra ist's der ganzen Reiherbeize.
Eilend naht er, durchbricht der Schranzen dichten Wall,
Glühend vor Weidmannslust –- die Sach' hat ihre Reize.
Dies Wunderstück der Gaben all'
Sollt' Glück ihn bringen, meint der Jäger.
Da packt der wilde Schellenträger,
Der undressiert noch, auf einmal
Mit seinen Krallen, scharf wie Stahl,
Des armen Falkners Nas' und will sie nimmer lassen.
Er schreit; der Fürst und all die Massen
Der Schranzen lachen. Wer hätt' nicht gelacht? Was mich
Betrifft, nicht um die Welt hätt' ich mich können fassen.
Lacht wohl ein Papst? Das wage ich
Nicht zu behaupten; doch ein Fürst wär' sicherlich
Schlimm dran, sollt' er das Lachen hassen;
Ist's doch der Götter Lust! Zeus' heilig ernste Macht
Und das unsterbliche Volk der Olympier lacht.
Im alten Mythus wird erzählt, daß laut er lachte,
Als ihm der hinkende Vulkan zu trinken brachte.
Ob die Unsterblichen klug taten oder nicht:
Mit Absicht wechselte sein Endziel mein Gedicht;
Denn wenn auf die Moral wir sehen,
Was könnt' der Unfall, der dem Jägersmann geschehen,
Uns Neues lehren? Zeigt doch aller Zeiten Bild
Mehr dumme Falkner, als Fürsten die klug und mild.


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