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6. Der Bildhauer und die Bildsäule des Jupiter

Ein Bildner hat durch Schicksals Gunst
Den schönsten Marmorblock erhandelt.
»Ob« sprach er »meines Meißels Kunst
Zum Gott, zum Tisch, zur Schal' ihn wandelt?

Ein Gott soll's sein; ich will sogar,
Daß er des Donners Träger werde.
Sterbliche, bringt Gelübd' ihm dar
Und zittert vor dem Herrn der Erde!«

Und meisterhaft gestaltet er
Das Bild und gibt ihm Geist und Seele;
Man fand, daß diesem Jupiter
Nichts weiter als die Sprache fehle.

Der Künstler selbst, erzählte man,
Hab', als die Arbeit kaum vollendet,
Von seinem eignen Werke dann
In Angst und Zittern sich gewendet.

Kaum größern als des Bildners Mut
Schien einst der Dichter zu bekunden:
Er fürchtete den Haß, die Wut
Der Götter, die er selbst erfunden.

In diesem Punkt war er ein Kind,
Da Kinder nur dies eine Wehe
Kennen und stets in Sorge sind,
Daß ihrer Puppe nichts geschehe.

Leicht schließt dem Geist das Herz sich an;
Aus dieser einen Quelle leitet
Der Heiden Wahn sich, welchen man
Bei so viel Völkern sieht verbreitet.

Für seine Truggebilde stand
Ein jeder ein mit allen Waffen:
Pygmalion ist in Lieb' entbrannt
Zur Venus, die er selbst geschaffen.

Gern hält der Mensch für Wirklichkeit,
Womit ihn seine Träume trügen,
Kalt für die Wahrheit, jederzeit
Feurig entflammt für eitel Lügen.


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