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18. Der Geier und die Nachtigall

Der Geier, wohlbekannt als Räuber überall,
Mocht' einst mit vielem Lärm die Nachbarschaft durchstreifen,
Des Dorfes Jugend gellt ihm nach mit Schrein und Pfeifen;
Da fällt ihm in die Klau'n die arme Nachtigall.
Die Lenzverkünderin erfleht von ihm ihr Leben:
»Mich fressen, die nichts hat als ihrer Stimme Klang?
Vernimm doch lieber meinen Sang;
Von Tereus' wilder Lust will ich dir Kunde geben.«
»»Was? Tereus? Ist der auch als Fraß für Geier gut?««
»O nein; das war ein Fürst, dess' heft'ge Liebesglut
Und dessen Schandtat mich zu ew'ger Klage zwingen.
Ich will davon ein Lied, ein schönes Lied dir singen,
Das dich entzücken wird; rührt's doch 'nes jeden Sinn.«
Der Geier drauf mit höhn'schem Lachen:
»»Wirklich? Das find' ich nett! Jetzt, da ich nüchtern bin,
Kommst du und willst Musik mir machen?««
»Vor Kön'gen sing' ich!« »»Gut! Fängt mal ein König dich,
Dann sing' ihm deine Wundersagen!
'nem Geier scheint das lächerlich;
Nicht Ohren hat ein leerer Magen.««


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