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Zwölftes Buch

1. Die Gefährten des Ulysses

Dem Herrn Herzog von Burgund

Prinz, einz'ger du, des die Unsterblichen sich freun,
Auf deinen Altar laß mich meinen Weihrauch streun.
Spät kommt die Muse, dir in meinem Lied zu huld'gen;
Der Jahr' und Arbeit Last mag mich bei dir entschuld'gen.
Mein Geist nimmt ab, indes den deinen man gewahrt
Zunehmen stets an Kraft, mit weisem Sinn gepaart;
Er schreitet nicht, er schwingt empor sich wie auf Flügeln.
Der Held, dem sehr er gleicht, mag kaum das Feuer zügeln,
Zu zeigen sich im Dienst des Mars von gleicher Art.
An ihm liegt's nicht, wenn nicht, den Sieg an seine Fahnen
Fesselnd, in sturmesschneller Fahrt
Er vordringt auf des Ruhmes Bahnen.
Ein Gott hält ihn zurück: 's ist Ludwigs heil'ge Macht,
Er, den ein einz'ger Mond zum Herrn des Rheins gemacht.
Grad' an der Schnelligkeit war damals viel gelegen;
Heut schiene sie vielleicht uns etwas zu verwegen.
Ich schweige; haben doch, wie mir schon längst bewußt
An langen Reden Freud' und Liebe wenig Lust.
Von jeher strahlt dein Hof in solcher Götter Glanze;
Sie lassen nicht von dir. Nicht als sei nicht bewahrt
Ein Ehrenplatz auch für Gottheiten andrer Art:
Vernunft und edler Sinn beherrschen dort das Ganze.
Frag' bei den letztern an, ob nicht der Griechen Schar
Unklug und unvorsichtig war,
Sich einem Zauber hinzugeben,
Der menschliche Natur wandelt in Tiergestalt.
Ulysssens Freunde, nach zehnjähr'gem Kriegerleben,
Irrten umher, vom Wind getrieben, ohne Halt.
Da landeten sie an Gestaden,
Wo Circe, Helios schönes Kind,
Haus hielt samt ihrem Hofgesind.
Sie ließ zu einem Trunk sie laden,
Der köstlich mundet; doch ein schrecklich Gift war drin,
Das raubt ihnen Verstand und Sinn.
Bald fühlten an Gesicht und Körper sie den Schaden
Des Gifts: sie wurden Tier' an Antlitz und Gestalt;
Sie waren Bären, Leu'n und Elefanten, bald
Geschwellt zu unförmlichen Massen,
Bald winzig klein, daß kaum zu fassen
Sie waren mit der Hand, » exemplum, ut talpa
Ulyß nur stand unnahbar da!
Er wies den Trank zurück, ihm stieg er nicht zu Hirne.
Da er mit seiner Heldenstirne
Der Rede süßen Reiz und klugen Rat verband,
So flößte er der Zauberdirne
Ein ander Gift ein, das dem ihren nah verwandt.
Stets schwatzt 'ne Göttin aus, was je ihr Herz beschwerte.
Als dies ihm ihre Lieb' erklärte,
Benutzt Ulyß sogleich die Lag: als schlauer Mann
Verlangt von ihr er, sie soll eben
Die frühere Gestalt den Freunden wiedergeben.
» Wollen sie's« fragt die Nymph' »und nehmen sie's denn an?
Geh' eilig und versuch' der Schar es vorzulegen!«
Ulysses geht und spricht: »Es gibt ein Mittel gegen
Das Gift; ich kenn's und will euch meinen Beistand leihn.
Wollt, teure Freund', ihr nicht gern wieder Menschen sein?
Ihr sollt die Sprache wieder haben.«
Der Leu brüllt ihm ein lautes Nein:
»So toll bin ich nicht! All' den Gaben
Sollt' ich entsagen, die erst jetzt ich nenne mein?
Fürst bin ich; Krall' und Zahn reißt meinen Feind zu Stücken.
Soll mich das Bürgerrecht von Ithaka beglücken?
Du stellst wohl gar mich als gemeinen Söldner hin:
Nein, ich will bleiben, was ich bin.«
Zum Bären eilt Ulyß: »Gefährte meiner Reise,
O weh, wie siehst du aus! Und warst so nett doch einst!«
»»Ei, sieh doch! Wirklich? Was du meinst!««
Brummt der ihn an nach Bärenweise
»Wie ich ausseh'? Just wie ein Bär aussehen muß.
Wer sagt, daß Schönheit nur einer Gestalt verliehen?
Ist deine denn der unsern vorzuziehen?
Der Bärin Lieb' ist mir ein wonniger Genuß.
Mißfall' ich dir? So geh' und laß mich! Wohl geborgen
Leb' ich hier, froh und frei, mich drücken keine Sorgen.
Ich sag' dir kurz und gradehin:
Nein, ich will bleiben, was ich bin.««
Nun eilt der Griechenfürst zum Wolf, auch den zu fragen;
Er spricht, auf ähnlichen Bescheid von ihm gefaßt:
Ach, außer mir, Freund, bin ich fast!
'ne junge Hirtin hört' ich klagen
Ob deiner nie gestillten Freßbegier,
Du würgtest alle Schafe ihr.
Sonst pflegtest deinen Schutz den Schäfern du zu geben,
Du führtest ein höchst würd'ges Leben.
Komm, laß den Wald und will'ge ein
Statt Wolf, ein guter Mensch zu sein.«
»»Gibt's solche?«« fragt der Wolf »»Kaum einen laß' ich gelten!
Du kommst hierher, um mich ein reißend Tier zu schelten;
Du, mich! Wer bist denn du? Hättst ohne mich du hier
Die Tiere nicht verspeist, die sich erjagen ließen?
Wär' ich ein Mensch, sag's ehrlich mir,
Würd' ich dann wen'ger Blut vergießen?
Ihr würgt euch um ein Wort, um eine Kleinigkeit!
Ob ihr, Mensch gegen Mensch, nicht gleichfalls Wölfe seid?
Alles wohl überlegt, stell' ich Verbrecher neben
Verbrecher, scheint es mehr Gewinn
Als Wolf mir, denn als Mensch zu leben.
Nein, ich will bleiben, was ich bin.««
Mit gleicher Bitte wandt' Ulysses sich an alle;
Ein jeder gab im gleichen Falle
Ihm gleiche Antwort, Groß und Klein.
Wald, Freiheit, ihrer Lust Befriedigung allein
Erschien als höchstes Glück den Braven.
Des Ruhms der edlen Tat waren sie längst entwöhnt;
Frei wähnt sich jeder, wenn er seinen Lüsten frönt:
Sie waren ihre eignen Sklaven.

Prinz, einen Stoff; in dem der leichte Scherz sich paart
Mit Nützlichem, war ich bemüht dir auszulesen;
Die Absicht war wohl guter Art,
Wär' leichter nur die Wahl gewesen!
Da endlich fand ich die Gefährten des Ulyß;
Viel ihresgleichen gibt's in dieser Welt gewiß,
Volk, das zur Straf' ich überlasse
Deinem Gericht und deinem Hasse.


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