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5. Der Löwe, der Affe und die beiden Esel

Um gut zu herrschen, müsse man,
Meinte der Leu, Moral studieren;
Drum wendet er sich einstmals an
Den Affen, dieser war Doktor unter den Tieren.
Die Lektion beginnt, der Herr Präzeptor spricht:
»Wer weise herrschen will, mein König, dessen Pflicht
Ist Sorge für den Staat und große
Selbstüberwindung, nie sei er ein eitler Wicht,
Und Eigenliebe kenn' er nicht;
Sie ist die Mutter, deren Schoße
Die Fehler all' entstammen, die
So oft man trifft bei allem Vieh.
Daß gänzlich man von der Empfindung los sich mache,
Ist keine gar so leichte Sache,
So schnell erreicht man nicht das Ziel;
Sie ein'germaßen nur beherrschen, ist schon viel.
Dies Mittel, das erprobt und echt ist,
Erhabner Herr, hält stets Euch fern,
Was lächerlich und ungerecht ist.«
»»Von beiden Arten hätt' ich gern
Ein Beispiel«« sprach darauf der König.
Der Doktor sagt: »Im Herzen hält
Jeder Beruf – wir selbst nicht wenig –
Und jeder Stand sich für den ersten in der Welt
Und all' die andern nur für Laien,
Die unverschämt anmaßend seien,
Und was dergleichen Zeug man hier und da wohl schwätzt.
Die Eigenliebe zeigt auch oft sich in dem Streben,
Die Unsern zu erhöhn; dies Mittel ist zuletzt
Ganz gut, sich selber zu erheben.
Der Art sah ich schon viel, und daraus schließ' ich jetzt:
So manch Talent ist hier nichts als gefälschte Ware,
Die sich zur Geltung noch durch frechen Schwindel bringt.
Einst folgt' ich einem Eselpaare;
Ich acht' auf sie und seh', bald der, bald jener schwingt
Das Weihrauchfaß; ich hör', wie wechselweis beim Wandern
Einander Lob sie streun, und einer sagt zum andern:
»Kollege, findet Ihr nicht dumm und ungerecht
»Den Menschen jenes so vollkommne Tier? Er schändet
»Uns; denn den Namen ›Esel‹ spendet
»Er jedem, der nur blöd' an Geist ist und geschwächt.
»Andrer Beschimpfung noch erfrecht
»Er sich: er nennt ›Geschrei‹ unser Gespräch und Lachen.
»Der lächerliche Mensch meint's uns zuvorzutun!
»Er kann es nicht; nein, nein! Ihr, Ihr müßt reden nun
»Und seine Redner schweigen machen;
» Die sind nur Schreier! Doch nichts mehr von all' dem Lug!
»Wir kennen uns, das ist genug.
»Und wollt Ihr unser Ohr ergötzen
»Durch Euren Göttersang, das wir daran uns letzen,
»Erscheint uns Philomel' ein Lehrling nur, mehr nicht;
»Ihr seid der Sangesfürst!« Das andre Langohr spricht:
»Kollege, gleichen Wert weiß ich an Euch zu schätzen.«
Nachdem das Eselpaar einander so gekraut,
Preisen von Stadt zu Stadt sie laut
Jeder den andern; denn zu fördern seine Sache
Meint jeder, wenn berühmt er den Kollegen mache,
Da doch des andern Ruhm auf ihn zurück auch fällt.
Gar viele kenn' ich in der Welt,
Nicht unter Eseln bloß, nein, Leute, welche glänzen
Durch Rang und Stand, und die, wagten sie's, gern vertauscht
Der andern Stellung und manch' simple Exzellenzen
Zu Majestäten aufgebauscht.
Ich sagt' am Ende schon zu viel; doch hoff' ich, schweigen
Werd' Euer Majestät davon. Ihr habt's gewollt;
Ihr wißt ja, Ihr befahlt, daß durch Beispiel' ich sollt'
Die lächerlichen Folgen zeigen
Der Eigenliebe. Von der Ungerechtigkeit
Red' ich ein ander Mal, dazu bedarf's mehr Zeit.«
So sprach der Aff'. Ob er den andern Punkt indessen
Behandelt, weiß ich nicht – vielleicht mocht' er ihn scheun;
Denn unser Doktor war kein Narr: er hielt den Leu'n
Für einen Herrn, mit dem nicht gut ist Kirschen essen.


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