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10. Der Schäfer und der König

Von zwei Dämonen ist besessen unser Leben,
Und wo sie herrschen, ist Vernunft weit fortgebannt;
Ich weiß kein Herz, das nicht den beiden hingegeben.
Und wie sie heißen? Nun, sie sind euch wohl bekannt:
Der ein' ist Lieb', Ehrgeiz der andere genannt.
Des letztern Reich ist weit: ihm frönen alle Seelen,
Selbst Liebe ist von ihm bedroht.
Gar leicht bewies' ich's; doch mein Zweck ist, zu erzählen
Wie einen Schäfer einst ein Fürst zu Hof entbot.
Es ist 'ne alte Mär' und nicht aus unsern Tagen.
Der König sah im Feld der Herden üpp'ge Schar,
Gut grasend, wohlgenährt, und die in jedem Jahr,
Dank ihres Schäfers Müh', großen Gewinn getragen.
Der Hirt gefiel ihm, der so zuverlässig war.
»Ein guter Seelenhirt« spricht er »wärst du wohl gar!
Die Schafe laß, du sollst Menschen zu hüten wagen;
Zum höchsten Richter sei ernannt.«
Bald saß der Schäfer da, die Wage in der Hand.
Zwar hat von Menschen nur 'nen Klausner er gesehen,
Nur Schafe, Hund und Wolf waren ihm wohl bekannt;
Doch hat gesunden Sinn er, und so mocht's schon gehen,
Kurz, er bracht' alles wohl zustand.
Der Nachbar Klausner kommt: »Sag', Freund, mir, ob ich wache!
Und was ich sehe, ist das nicht ein Traumgesicht?
Du, Günstling? Du, jetzt groß? Ach, trau' den Kön'gen nicht!
Schlüpfrig ist ihre Gunst! Das Schlimmste bei der Sache:
Sie trügt und kostet viel. Du gehst auf falscher Spur;
Auf solche Täuschung folgt ein glänzend Elend nur.
Du kennst den Reiz nicht, der dich bannt in diese Kreise;
Ich rat' als Freund dir: sieh dich vor!« Der andre lacht;
Doch unser Klausner: »Gib nur acht,
Dann siehst du ein: schon jetzt macht dich der Hof unweise.
Gleich jenem Blinden scheinst du mir, der auf der Reise
'ne frosterstarrte Schlange fand,
Sie für 'ne Peitsche hielt und aufhob mit der Hand;
Die eigne Peitsche fiel ihm fort, sie blieb verschwunden.
Wie er dem Himmel dankt, daß er Ersatz gefunden,
Ruft ihm ein Wandrer zu: »Um Gott! Was habt Ihr dort?
Schnell werft das arge Tier, die tück'sche Schlange fort!«
»»Es ist 'ne Peitsche.«« »Nein, sag' ich, es ist 'ne Schlange.
Ich weiß nicht, wozu quäl' ich mich mit Euch noch lange?
Wünscht zu behalten Ihr den Schatz?« »»Warum denn nicht?
Ich hab' 'ne gute für 'ne alte Peitsch'; es spricht
Nur Neid aus Euch, das merk' ich eben!««
Nicht glaubt's der Blinde; doch, erbarm'
Sich Gott, er büßt' es mit dem Leben:
Das aufgetaute Tier, es biß ihn in den Arm.
Dir wird, glaub' mir, du wirst es sehen,
Dir wird viel Schlimmeres als jenem noch geschehen!«
»»Was? Schlimmres als der Tod wäre mir aufgespart?««
»Ja, Reu' und Ekel« sagt der Klausner. Und wie mächtig
Zeigt die Weissagung sich! Durch Schliche aller Art
Macht mancher Schurk' am Hof des Richters rein und zart
Gewissen, sein Verdienst dem König bald verdächtig.
Man schmäht ihn, man besticht Ankläger, niederträchtig
Gesindel, das einst scharf sein Richterspruch gefaßt.
»Von unsrem Gelde« heißt's »baut er sich 'nen Palast!«
Die reichen Schätze will der König selbst ergründen.
Er sieht nur überall dürft'ge Bescheidenheit,
Den Preis der Armut und das Lob der Einsamkeit;
Das war die Pracht, die hier zu finden.
»Sein Schatz« rief man »besteht in Gold und Edelstein;
Er hat 'nen Koffer voll, groß und zehnfach verschlossen!«
Er zeigt den Koffer vor; verlegen schauten drein
Des Truges schurkische Genossen.
Den Koffer öffnet man; was war die ganze Pracht?
Nur Lumpen, eine Schäfertracht,
Ein kleiner Hut, Rock, Stab, 'ne Tasche für das Essen,
Den Dudelsack nicht zu vergessen.
»Mein Schatz, du teures Pfand des Glücks, das ich genoß«
Rief er »du wecktest nie Trug, Lüge, Haß und Rache!
Komm wieder her; ich geh' aus diesem reichen Schloß,
Wie ich aus einem Traum erwache.
Den Ausruf, Herr, verzeiht! Schon meines Falls bewußt
War ich, als mir erstrahlt' all' dieses Glanzes Schimmer.
Hochmut kam vor dem Fall'; allein wem schwellte nimmer
Ein Körnchen Ehrgeiz wohl die Brust?«


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