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16. Das Horoskop

Oft wird vom Schicksal man getroffen
Auf Wegen, die man wählt, grad' um ihm zu entgehn.

Ein Vater hat sein einzig Hoffen,
Den einz'gen Sohn, so lieb, daß er, um zu erspähn
Des Sprößlings Los in künft'gen Tagen,
Nicht scheut, Wahrsager zu befragen.
Einer derselben sagt, vor Löwen sollt' zumeist
Er seinen Sohn bis zu gewissem Alter wahren,
Nur etwa bis zu zwanzig Jahren.
Der Vater, mit besorgtem Geist
Auf einen Schutz bedacht, von dem des Lieblings Leben
Abhing, verbot, daß je auch nur mit einem Tritt
Des sichern Schlosses Tor der Knabe überschritt.
Drin konnt' er ganz nach Lust der Freude sich ergeben,
Mit Freunden seinen Tag mit Laufen, Springen, Spiel
Verbringen, wie es ihm gefiel.
Als er im Alter war, wo Neigung
Zur Jagd im jungen Herzen quillt,
Macht man ihm ein abscheulich Bild
Von dieser Lust; doch Überzeugung,
Belehrung, Rat – kurz, was man nur
Versucht, nichts ändert die Natur.
Der Jüngling, aufgeregt, feurig, voll Jugendmutes,
Fühlt kaum die Wallungen des jugendlichen Blutes
Und schon schwellt Sehnsucht ihm die Brust –
Je größres Hindernis, je stärker ist die Lust.
Er kannte wohl den Grund des lästigen Beschlusses;
Und da im Schlosse bei dem Glanz des Überflusses
Ein Reichtum sich an Bildern fand,
Da Pinsel ihm und Leinewand
Malten des Waldes Pracht und lustig Jagdvergnügen,
Hier Tiere, die er nie gekannt,
Dort Menschen mit bekannten Zügen,
Geriet er einst in Zorn vor eines Löwen Bild:
»Bestie!« rief er »Um dich leb' ich an diesem Orte
Versteckt und festgebannt!« Er führt bei diesem Worte
Auf das unschuld'ge Tier, von heft'ger Wut erfüllt,
Mit seiner Faust zwei wucht'ge Hiebe.
Unter der Leinwand war ein Nagel, der ihn, ach!
Verwundete; denn er durchstach
Die Lebensader ihm, und dieses Haupt, das liebe,
Dem Äsculapens Kunst nicht half, dankt seinen Tod
Der Sorge, die man auf für seine Rettung bot.

Dem Dichter Äschylus bracht' Vorsicht gleiches Leiden.
Da, wie man sagt, Wahrsager ihm den Tod
Durch eines Hauses Sturz gedroht,
Floh er die Stadt; den Tod zu meiden,
Schlief er, fern jedem Dach, auf offnem freiem Feld.
Ein Aar, der durch die Luft grad' eine von den größten
Schildkröten trägt, sieht ihn, und da den haarentblößten
Schädel des Mannes er für ein Stück Felsen hält,
Wirft seine Beut' er aus der größten
Höhe herab und schlägt auf ihm ihr Haus entzwei.
So führt' Äschylus sein vorzeitig End' herbei.

Die Beispiele hier sollen lehren:
Diese Kunst führt, wenn wahr, das Unglück stets herbei,
Das jene scheun, die auf sie schwören;
Ich halte sie für falsch, darum sprech' ich sie frei.
Ich glaube, daß Natur die Hände
Sich nimmer bindet, noch uns so die Freiheit nimmt,
Daß unser Schicksal schon im Himmel fest bestimmt;
Das letztere wird durch Umstände
Bedingt, durch Menschen, Zeit und Ort,
Nicht durch der Schwindlerzunft marktschreierisches Wort.
Dieser Fürst, jener Hirt sind unter einem Sterne
Geboren, jener hoch, der niedrig, weil's der ferne
Jupiter so will und beliebt.
Was ist der Jupiter? Ein Körper ohne Willen.
Wie kommt's, daß seine Macht im stillen
Auf diese beiden so verschiednen Einfluß übt?
Und dann, wie sollt' er bis zu unsrer Welt wohl dringen?
Wie durch das tiefe Blau des Äthers durch sich ringen.
Durch Mars und Sonne, durch den endlos leeren Raum?
Ihn abzulenken braucht's eines Atomes kaum!
Wie sollten wieder dann ihn die Sterndeuter finden?
Europas Lag' – aus vielen Gründen
Verdiente sie, daß man vorher uns dran gemahnt!
Warum tat's keiner? Weil nicht einer sie geahnt.
Die große Ferne wie die Schnelle der Bewegung,
Auch unsrer Leidenschaften Drang
Gestatten nicht, daß jede Regung
Und Handlung Schritt vor Schritt nur folge ihrem Gang.
Der ew'gen Sterne Lauf, dem Wechsel untergeben
Ganz wie der unsere, geht nimmer gleichen Schritt;
Und jene Leute wollen mit
Dem Kompaß regeln unser Leben!

Drum kehre sich auch niemand an
Die beiden Fälle, die ich nicht verbürgen kann;
Der Knab' und Äschylus wollen gar nichts besagen.
Wie lügenhaft die Kunst, wie falsch ihr Weg und Ziel,
Von tausend Malen kann sie einmal richtig schlagen;
Doch ist dies nur des Zufalls Spiel.


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