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9. Die Mäuse und die Eule

Nie spreche zu den Leuten man:
»Hört einen Witz, ich will euch Wunderdinge sagen!«
Kennt ihr die Hörer? Wißt ihr dann,
Ob auch ihrem Geschmack es mag wie euch behagen?
Hier liegt ein Ausnahmsfall uns vor; vor aller Welt
Behaupt' ich, daß die Sach', obwohl sie wunderbar ist
Und fabelhaft erscheint, doch ganz gewiß und wahr ist.
Ob ihres Alters ward 'ne Fichte einst gefällt,
Der Eule düstres Schloß, des Vogels, der, verbündet
Der Atropos, von ihr oft schwarze Mär' uns kündet.
In ihrem hohlen Stamm, in tief durchwühltem Loch
Wohnten, mit andrem Volke noch,
Viel Mäuse ohne Fuß, vor Fett kaum anzusehen.
Der Vogel nährte sie mit Haufen Korns; doch war
Durch seinen Biß vorher verstümmelt ihre Schar.
Die Eul' hat's klug bedacht, das muß man zugestehen.
Denn wenn der Kunde sonst Mäuse gefangen nahm,
Waren sie aus dem Loch oft wieder ausgerissen;
Dem abzuhelfen, macht der Schelm sie alle lahm.
Nachdem er ihnen erst die Beine abgebissen,
Konnt' er nach Herzenslust, wenn's ihm Vergnügen macht,
Heut die und morgen jene speisen;
All' auf einmal ging nicht, auch war er stets bedacht
Und hatte immer auf seine Gesundheit acht.
Seine Fürsorge dürft' sich unsrer gleich erweisen:
Sie ging so weit, daß oft genug
Er ihnen selbst das Korn zutrug,
Nun soll Descartes noch drauf bestehn,
In dem Tier nur ein Trieb- und Räderwerk zu sehn!
Welch Federchen mahnt' es daran,
Dem flücht'gen Mäusevolk die Beine abzubeißen?
Wenn das Verstand nicht ist, ja, dann
Weiß ich nicht, was Verstand soll heißen.
Die Eule schließt: »Hat man 'ne Maus
Gefangen, reißt sie wieder aus;
Drum würge man sie gleich, wie man sie hat, vom frischen!
Alle? Das geht nicht an. Soll man für Vorrat dann
Nicht Sorge tragen auch? Darum ernähre man
Sie, ohne daß sie uns entwischen.
Doch wie? Die Beine beiß' ich ab!« Nun findet ihr,
Daß klüger wohl ein Mensch verfährt in solchem Falle?
Lehrt Aristoteles und seine Jünger alle
Euch andre Logik? Zeigt sie mir!


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