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2. Der Mensch und die Natter

Ein Mensch bekam einst zu Gesichte
'ne Natter. »Wart!« rief er »Nichtswürd'ge! Ich verrichte
Sogleich ein nützlich Werk an dir!«
Augenblicks ward das arge Tier
(Ich spreche nämlich von der Schlange,
Und nicht vom Menschen; leicht könnt' man es mißverstehn)
Die Schlange ward gefaßt – es war gar bald geschehn –
In einen Sack gesteckt und dann – es währt' nicht lange –
Dem Tod geweiht, ganz gleich, ob schuldig oder nicht.
Indes da grundlos nie der Mensch ein Urteil spricht,
So richtet er an sie die Worte:
»Des Undanks Bild! Wer je Nichtswürd'gen wohl getan,
Der ist ein Tor. Drum stirb! Dein Grimm soll und dein Zahn
Mir nimmer Schaden tun!« Die Schlang' an ihrem Orte
Sagt ihm, so gut es geht: »Sollten verurteilt sein
In aller Welt die Undankbaren,
Wem, frag' ich, könnte man verzeihn?
Dich selber klagst du an, dein eigenes Gebaren
Und deine Lehren sind mir Zeugen; schau um dich!
Mein Leben steht bei dir, nimm es mir; nach Vergnügen,
Nach Laun' und Vorteil magst du über mich verfügen;
Nach diesem Recht verdamme mich!
Doch laß mich, eh' ich sterbe, wagen,
In allem Freimut dir zu sagen:
Des Undanks Bild ist nimmermehr
Die Schlang', es ist der Mensch.« Die Worte, sehr gewichtig
Gesprochen, machten ihn erst schweigen, doch nachher
Spricht er: »Was du da sagst, ist eitel falsch und nichtig.
Mein ist das Recht, und die Entscheidung steht mir frei;
Doch fragen andre wir!« Die Schlang': »Ich bin's zufrieden.«
'ne Kuh war in der Näh'; man ruft, sie kommt herbei,
Man trägt den Fall ihr vor. »Die Sach' ist leicht entschieden«
Sagt sie »und dazu braucht ihr erst mein Urteil noch?
Die Natter hat ganz recht. Warum erst heucheln doch?
Den hier ernähr' ich; schon seit Jahren ist vergangen
Kein Tag, an dem von mir er Spenden nicht empfangen.
Alles ist sein: die Milch und die Nachkommenschaft
Von mir macht, daß sein Haus und seine Wirtschaft blühe;
Als er vor Alter schwach und krank, gab neue Kraft
Ich wieder ihm; all' meine Mühe
War dem geweiht, was not ihm tut und ihm gefällt.
Nun bin ich alt; im Stall ohn' alles Futter stellt
Er hin mich. Ließ' er mich nur noch zum Weidegange!
Doch bindet er mich an. Hätt' ich zum Herrn 'ne Schlange,
Könnt' wohl im Undank die, so frag' ich alle Welt,
Noch weiter gehn? Lebt wohl! Ich sprach so wie ich dachte.«
Der Mensch, den dieser Spruch doch sehr betroffen machte,
Sagt zu der Schlange: »Die faselt uns Unsinn vor!
Sie ist 'ne Schwätzerin, die den Verstand verlor.
Fragen den Ochsen wir!« »»Gut!«« sagt der Wurm; sie zogen
Den Ochsen jetzt zu Rat. Langsamen Schritts kommt der,
Und da den Fall im Kopf er hin und her erwogen,
Meint er: »Der Jahre Joch trüg' er
Für uns allein, die Last der Arbeit, drückend schwer,
Durchlaufend all' den Kreis der Mühen und Beschwerden,
Durch welche uns geschenkt der Ceres Gaben werden,
Den Tieren aber nur verkauft um hohen Preis.
Und dann als einzigen Beweis
Des Danks für alles dies von allen, wie wir wären,
Viel Schläg' und wenig Heu! Und würd' er alt, dann höhnt
Der Mensch ihn gar und meint besonders ihn zu ehren,
Wenn er mit seinem Blut der Götter Zorn versöhnt.«
So sprach der Ochse. Drauf der Mensch: »Mag er doch schweigen,
Dieser Langweil'ge, der nichts kann
Als Worte machen, sich als großen Redner zeigen!
Anstatt zu richten klagt er an!
Auch ihn weis' ich zurück.« Nun ward der Baum von ihnen
Befragt; der war erst schlimm! »Als Schutz müss' er uns dienen;
Er sei's, der Sonne, Sturm und Regen uns abhält;
Für uns allein schmück' er den Garten und das Feld;
Nicht Schatten geb' er nur, fast breche seine Krone
Unter der Früchte Last. Für alles dies zum Lohne
Werd' er gefällt! Dies sei der Dank, der ihm beschert
Für das, was er im Jahr uns spend' an reicher Gabe:
Blüten im Lenz, im Herbst der Früchte süße Labe,
Im Sommer Schatten, Holz im Winter für den Herd.
Warum könnt' man ihn nicht ohne die Axt beschneiden?
Bei seiner Lebenskraft wär' lang' er noch gediehn!«
Der Mensch sieht mit Verdruß, daß alles gegen ihn;
Er will durchaus, für ihn soll sich der Streit entscheiden.
»Ich bin sehr gut« sagt er »zu hören auf dies Pack!«
Zugleich schlug an die Wand das Tier er und den Sack,
So daß die Schlange mußt' verrecken.

So ist es bei den Großen auch:
Gründe verletzen sie, da in dem Wahn sie stecken,
Mensch und Tier, alles sei für sie nur zum Gebrauch,
Schlangen auch.
Den Mund auftun vor solchem Gauch,
Ist töricht. Doch was tun als Kluger sich zu zeigen?
Von weitem reden oder schweigen.


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