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1. Die pestkranken Tiere

Ein Unheil, alles Schreckens Born,
Das einst der Himmel schuf im Zorn
Als Rach' und Strafe für der Erde Missetaten,
Die Pest da man sie doch bei Namen nennen muß –
Die wohl an einem Tag anfüllt den styg'schen Fluß,
Bekriegte einst der Tiere Staaten.
Nicht alle starben, doch blieb keiner ganz verschont:
Nicht einen sah man, dem es lohnt,
Ein schleichend Leben noch zu fristen; keine Speise
Weckt' ihr Gelüst in alter Weise:
Nicht Wolf noch Fuchs erspähten mehr
Die sanfte unschuldsvolle Beute;
Die Turteltäubchen flohn umher,
Da Liebe nimmer sie erfreute.
Der Leu hielt Rat und sprach: »Ich glaub', ihr Freunde, dies
Verderbenschwangre Unheil ließ
Der Himmel zu ob unsrer Sünden.
Der Schuldigste von uns nun soll
Sich opfern dem Geschick und der Himmlischen Groll;
Vielleicht daß alle wir dadurch Genesung finden.
Lehrt die Geschicht' uns doch, daß solcher Opfer Kraft
In gleichem Falle Rettung schafft.
Verhehlen wir uns nichts, daß rücksichtslos man sehe,
Wie's mit unsrem Gewissen stehe!
Was mich betrifft, so hab' ich aus Gefräßigkeit
Manch armes Schaf dem Tod geweiht.
Was hatten sie für Schuld? Gar keine;
Manchmal – gesteh' ich – ward gefressen unbeirrt
Auch der Hirt.
Ich will mich opfern, wenn's sein muß; jedoch ich meine,
Gut wär's, wenn jeder sich anklagen wollt' gleich mir.
Scheint es doch wünschenswert, daß sich nach Fug und Rechte
Der Schuldigste zum Opfer brächte.«
»»Sire«« sprach der Fuchs »»ein gar zu guter Fürst seid Ihr;
Ihr zeigt ein Ehrgefühl, das nur zu zart und fein ist.
Schafe fressen, dies Pack, das dumm und so gemein ist,
Heißt Sünde das? Nein, nein! Daß Ihr sie würgtet, war,
Für sie 'ne Ehre noch sogar.
Vom Hirten, den Eu'r Hoheit fraßen,
Sag' ich nur: es geschah ihm recht;
Er zählt zu jenen, die ein eingebildet Recht
Über die Tiere sich anmaßen.««
So sprach der Fuchs; es jauchzt' ihm zu der Schmeichler Schar.
Von nun an durfte keiner gar
Dem Tiger wie dem Bär und andern Großen wagen
Das mind'ste Unrecht nachzusagen.
Das ganz biss'ge Volk bis auf den Fleischerhund,
Sie taten alle sich als kleine Heil'ge kund.
Nun kam der Esel dran und sprach: »Als meine Straße
'ne Klosterwiese einst berührt,
Hat Hunger, frisches Gras und, wie ich wohl mutmaße,
Irgend ein Teufel mich verführt:
Ich fraß die Wiese ab, soweit die Zunge reichte;
Ich hatt' kein Recht dazu, wenn ich soll ehrlich sein.«
Da stürmten mit Hallo sie auf das Langohr ein;
Ein redelist'ger Wolf bewies, nach dieser Beichte
Sei's klar geboten, daß man ihn zum Opfer nähm',
Den räud'gen Lump, von dem das ganze Unheil käm'!
Zum Tod ward er verdammt ob seiner kleinen Schwächen.
Zu fressen fremdes Gras! Welch schmähliches Verbrechen!
Der Tod allein vermag's zu rächen!
So klang das Urteil; streng an ihm vollzogen ward's.

Bist stark du oder schwach? Das ist die Frag'; es sprechen
Die Herren Richter dich danach weiß oder schwarz.


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