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2. Die Katze und die beiden Sperlinge

Dem Herrn Herzog von Burgund

Ein Kater, noch ganz jung, und ein gleich alter Spatz
Hatten einander nah von jeher ihren Platz,
Ein Zimmer war dem Paar zum Aufenthalt geboten.
Oft neckten spielend sich die beiden, Spatz und Katz',
Der mit dem Schnabel fix, und diese mit den Pfoten.
Der Kater schont den Freund, er macht ihm niemals Schmerz;
Nur halb erwidernd seinen Scherz;
Nicht brächt' er's über sein Gewissen,
Hätt' er gekratzt ihn und gebissen.
Der Spatz, nicht so vorsichtig, schlug
Ihn mit dem Schnabel oft genug.
Als Mann von Welt entschuldigt immer
Herr Miez das Spiel höchst nachsichtsvoll:
Aufkommen lassen soll man unter Freunden nimmer,
Selbst wenn man recht hat, ernsten Groll.
Da beid' einander längst bekannt und wohlgewogen,
So lebten friedlich sie und in Gemütlichkeit;
Bei ihrem losen Spiel kam's nie zu ernstem Streit.
Einst kam ein Nachbarspatz geflogen,
Sie zu besuchen, und alsbald gesellt er sich
Zu unsrem Spätzchen und dem Kätzchen freundschaftlich.
Zwischen den Vögeln war's gar bald zum Zank gekommen;
Der Kater mischt sich drein und spricht:
»Der fremde Herr, fürwahr, hat hier sich schön benommen!
Beleidigt meinen Freund! Der Wicht
Will meinen Spatz wohl gar zu töten sich vermessen?
Bei allen Katzen, nein!« Er mengt sich in den Strauß
Und würgt den Fremden. »Ei!« ruft Miez verwundert aus
»Spatzen sind gut! Fürwahr, ein auserlesner Schmaus!«
Diese Bemerkung ließ ihn auch den andern fressen.

Welche Moral ich wohl aus diesem Falle zieh'?
Denn keine Fabel ist vollständig ohne sie.
Oft glaub' ich sie zu sehn, doch leicht trügt falscher Schimmer.
Mein Prinz, ich wette drauf, daß du sogleich sie weißt;
Dein Scharfsinn trifft das Ziel, doch meine Muse nimmer –
Die Schwestern alle Neun haben nicht deinen Geist.


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