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16. Der Wolf, die Mutter und das Kind

Der Wolf erinnert mich soeben
An einen Freund von ihm, der's noch weit schlimmer traf:
Er starb. Hört, wie sich das begeben.

Ein einsam Haus bewohnt ein Landmann, reich und brav.
Meister Isegrimm lauscht dort heimlich an der Pforte;
Gar leckre Beute hat erspäht er an dem Orte,
Milchkalb und Ziege, Lamm und Schaf,
Truthähne massenhaft, kurz, Mundvorrat wie selten.
Doch bald stellt Langeweil' sich bei dem Räuber ein.
Da hört ein kleines Kind er schrei'n;
Gleich fängt die Mutter an zu schelten,
Sie droht ihm: »Bist du nicht gleich still,
Holt dich der Wolf!« Das hört die Bestie, und schon will
Gott danken sie für dies Geschenk; doch zu beschwicht'gen
Beginnt die Mutter jetzt ihr ungezognes Früchtchen
Und sagt: »Schrei' nicht! Kommt er, dann schlagen wir ihn tot.«
Der Hammelwürger ruft: »Was heißt denn das?« und droht:
»Erst spricht sie so, dann so! Ob so was dulden müssen
Leute wie ich? Hält man für einen Narren mich?
Der kleine Fratz dort wage sich
Nur mal zum Wald nach Haselnüssen!«
Kaum hat er das gesagt, gleich kommen sie heraus;
Ein Hofhund packt ihn, Spieß' und Gabeln verarbeiten
Ihn fürchterlich nach allen Seiten.
»Was hast du« fragt man ihn »zu suchen hier am Haus?«
Alsbald erzählt er, wie's gekommen.
»Ich danke schön!« ruft wutentglommen
Die Mutter »Du, mein Kind erwürgen! Glaubst wohl gar,
Daß ich's nur dir zum Fraß gebar?«
Der Ärmste hat den Tod erlitten.
Ein Bauer hat ihm Kopf und Klauen abgeschnitten,
Die über seiner Tür der Gutsherr aufgesteckt,
Ein Sprüchlein drunter im Pikarden-Dialekt:
»Wölfle, hörst mal ä Büble schrein
Und's Mütterl drohn, fall' nit drauf nein.«


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