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6. Die Weiber und das Geheimnis

Jedes Geheimnis ist 'ne Last;
Den Frauen wird es schwer, sie weit zu tragen.
Hierin sind alle Männer fast
Auch Weiber nur, das muß ich sagen.

Sein Weib zu prüfen, rief bei Nacht ein Ehemann
An ihrer Seite aus: »O Gott! Was fang' ich an?
Ich kann nicht mehr! Ach. welche Plagen!
Himmel! Ich leg' ein Ei!« »»Ein Ei?«« »Ja, sieh's nur an;
Ganz frisch! Doch hüte dich, etwas davon zu sagen;
Man schimpft mich » Henne« sonst, drum schweig' nur überall.«
Die gute Frau, der dieser Fall
Ganz neu, wie noch manch' andre Fragen,
Glaubt's und tat einen Schwur, es still bei sich zu tragen.
Doch hat des Eides, als die Nacht
Vorüber war, sie kaum gedacht.
Das Weib erhebt aus ihrem Bett sich –
Sehr zart war sie just nicht – da kaum der Morgen lacht,
Und läuft zur Nachbarin geschwätzig:
»Gevatt'rin, denkt nur, was geschehn ist diese Nacht!
Doch redet nicht davon, mein Mann möcht' sonst mich hauen:
Ein Ei hat er gelegt, wie viere anzuschauen.
Doch bitt' um Gottes willen ich,
Von dem Geheimnis nichts zu sagen.«
»»Ihr kennt mich schlecht, könnt Ihr an mir zu zweifeln wagen!««
Spricht jene drauf »»Verlaßt euch ganz auf mich.««
Des Eierlegers Frau kehrt wieder heim; doch brennen
Sieht man vor Ungeduld die andre schon und rennen
Von Haus zu Hause mit der Neuigkeit vom Ei:
Aus einem macht sie gar schon drei.
Damit noch nicht genug: 'ne andre wollte wissen
Von vieren, doch daß es ein streng Geheimnis wär'.
Die Vorsicht konnte jetzt man missen,
Längst war es kein Geheimnis mehr.
So wuchs der Eier Zahl, sie ward von Mund zu Munde
Dank dem Geschwätz, vermehrt wie toll;
Und vor der nächsten Abendstunde
War richtig schon das Hundert voll.


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