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Neuntes Buch

1. Der ungetreue Verwalter

Dank den Musen, konnt' besingen
Ich dies oder jenes Tier;
Andre Helden mochten mir
Mindern Ruhm vielleicht einbringen.
Spricht im Reim der Wolf zum Hund
Stets auf meines Buches Seiten,
Tun euch all' die Tiere kund
Manch' verschiedne Art von Leuten,
Hier die Narr'n, dort die Gescheiten;
So doch, daß die Narrenwelt
Stets die Oberhand behält,
Denn die Mehrzahl bilden jene.
Auch führ' ich euch auf die Szene
Niedertracht, Betrügerei,
Schnöden Undank, Tyrannei,
Manches Vieh, zum Tür-Einrennen
Dumm, den Schmeichler, den Spion;
Hier wär' gleich auch mit zu nennen
All' der Lügner Legion.
Jeder Mensch lügt – sagt der Weise,
Hätte er damit gemeint
Leute nur aus niedrem Kreise,
Dürfte man's, so wie mir scheint,
Dulden schon in keinem Falle;
Aber daß wir alle, alle
Lögen – hätt' ein andrer Mann
Dies gesagt, wohl würd' ich dann
Ihm zu widersprechen wagen.
Ja, könnt' einer wie Homer
Und Äsop uns Lügen sagen,
Lügner wär' er nimmermehr;
Denn das Bild, ob es auch trüge,
Das des Dichters Traum erfüllt,
Zeigt uns Wahrheit, in der Lüge
Zauberisch Gewand gehüllt.
Schriften haben uns gegeben
Beide, wert ewig zu leben;
Lügen, so wie sie's geübt,
Kann nicht jeder, dem's beliebt.
Aber so wie jener lügen,
Der den andern wollt' betrügen,
Und im eignen Wort sich fing,
Ist ein dumm erbärmlich Ding.
So nämlich war's:

Ein Perser ging auf Reisen
Und hinterlegte einen Zentner Eisen
Beim Nachbar, der ihn in Verwahrung nahm.
»Mein Eisen?« fragt' er, als er wiederkam
»Eu'r Eisen? Ist nicht da: 'ne Ratte hat's gefressen.
Ich sag's Euch mit Bedauern; doch
Was ist zu tun? Ich schalt die Diener. Nun, ein Loch
Hat jede Wand!« Drob staunt der Handelsmann, indessen
Verstellt er sich und tut, als ob er's wirklich glaubt.
Nach ein'ger Tage Frist straft er den Schelm: er raubt
Sein Söhnchen ihm, drauf lädt zu Tisch ganz harmlos eben
Den Vater er; der kommt mit gramgebeugtem Haupt:
»Erlaßt mir's heut und wollt' vergeben;
Elend bin ich und freudenleer!
Den Sohn liebt' mehr ich als mein Leben;
Ich hab' nur ihn – ach nein! Ich hab' ihn ja nicht mehr!
Man stahl ihn mir! Beklagt mich, dessen Glück zunichte!«
Der Kaufmann sagt: »Gestern im Abenddämmerlichte
Entführte Euren Sohn 'ne Eule; ganz genau
Sah ich: sie schleppt' ihn fort nach einem alten Bau.«
Der Vater drauf: »Wie mögt Ihr denken, daß ich glaube,
Ein Käuzlein könne je entfliehn mit solchem Raube?
Schlimmstenfalls hätt' mein Sohn die Eule doch besiegt.«
Der andre spricht: »Ich sag' nicht, wie sie ihn gekriegt;
Allein ich hab's gesehn mit diesen Augen, sag' ich!
Und was veranlaßt Euch, so frag' ich,
Zu zweifeln, wenn ich was versichre auf mein Wort?
Und könnt Ihr's wunderbar denn finden,
Wenn Eulen hier an diesem Ort,
Wo eine Ratte läßt 'nen Zentner Eisen schwinden,
'nen Knaben stehlen, der 'nen halben Zentner schwer?«
Der Vater merkt das Ziel, nach dem der Pfeil geschossen:
Er gab dem Mann das Eisen her,
Und dieser gab ihm seinen Sprossen.

Zwischen zwei Reisenden gab's fast 'nen gleichen Streit.
Der ein' ein Mensch, der jederzeit
Durch ein Vergrößrungsglas die Dinge pflegt zu sehen:
Riesig scheint alles ihm; wie in Afrika gehen
Die Ungeheu'r bei uns gemütlich ein und aus.
Zu übertreiben schien ihm recht. Mit einem Male:
»'nen Kohlkopf sah ich einst« sagt er »hoch wie ein Haus.«
Der andre: »Ich 'nen Topf, groß wie 'ne Kathedrale.«
Der erste lacht; da sagt der zweite ihm: »Jawohl;
Drin kochen wollt' man euren Kohl!«

Der Topfmensch war voll Witz, der Eisenmensch gescheiter.
Ist gar zu albern, was man dir aufbindet, dann
Tu' ihm die Ehre nicht der Widerlegung an;
Nein, übertrumpf es noch und ärgre dich nicht weiter.


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