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10. Der Bär und der Gartenfreund

Ein halb geleckter Bär, dem Hochgebirg' entstammt,
Lebt', gleich Bellerophon, den einst das Schicksal steigen
Und fallen ließ, im Wald zur Einsamkeit verdammt.
Er wurde toll; denn nichts ist der Vernunft so eigen,
Als daß sie nimmer lang' bei Eremiten bleibt.
Reden ist Silber, sagt man oft, Gold ist das Schweigen;
Doch beides ist nicht gut, wenn man es übertreibt.
Kein lebend Tier mocht' da sich zeigen,
Leer blieb's und öde ganz und gar,
So daß, trotzdem ein Bär er war,
Er höchst langweilig fand dies allzu traur'ge Leben.
Indes er also hier der Schwermut sich ergeben,
Langweilte ganz auf gleiche Weis'
In seiner Nähe sich ein Greis,
Ein Gartenfreund, der in Pomona's Dienste schaltet
Und Flora's Priesteramt verwaltet.
Schön ist dies Doppelamt; doch deucht mir schöner sei's
In liebenswürd'ger Freunde Kreis.
Ein Garten spricht nicht viel, außer in meinem Buche.
Drum ging der Greis einst auf die Suche
Im Morgensonnenschein, der stummen Sippschaft satt,
Nach Freunden; querfeldein wandelt er frisch und munter.
Der Bär, der gleiche Absicht hat,
Kam auch von seinem Berg herunter.
Durch Zufall trifft höchst sonderbar
An einer Ecke sich das Paar.
Der Mann hat angst. Doch wie ausweichen? Was anstellen?
Mut heucheln ist noch stets das best' in solchen Fällen;
Er wußt' es und verbarg die Furcht vor der Gefahr.
Der Bär, der just kein Höfling war,
Sagt kurz ihm: »Komm zu mir!« Drauf jener: »Gerne zwar,
Doch seht, da steht mein Haus; wollt Ihr mir Ehr' erweisen,
So nehm' Eu'r Gnaden dort ein einfach ländlich Mahl.
Ich habe Frücht' und Milch; zwar weiß ich nicht einmal,
Ob die Herrn Bären auch gewohnt sind solcher Speisen,
Doch biet' ich, was ich hab'.« Der Bär nimmt's an, sie gehn;
Man kann schon unterwegs sie als zwei Freunde sehn.
Im Hause haben sie sehr freundlich sich vertragen;
Und mag Alleinsein mehr behagen
Als eines Narren Gegenwart,
So hindert, da der Bär in Schweigen meist verharrt,
Doch nichts den Mann, daß er sein Tagewerk verrichte.
Der Bär geht auf die Jagd, schafft Wild herbei und liegt
Dann seinem Hauptgeschäft vergnügt
Als Fliegenjäger ob und scheucht vom Angesichte
Des Freundes, wann er schläft, das lästige Insekt,
Die Fliege, die so oft uns neckt.
Einst sieht er unsern Greis in tiefem Schlummer liegen,
Und eine Fliege, die ihm auf der Nase kreucht;
Er wütet, da umsonst er immer fort sie scheucht:
»Wart' nur!« so ruft er aus »Und wie will ich dich kriegen!«
Gesagt, getan: seht da, der Fliegenjäger rafft
'nen Pflasterstein euch auf, schleudert ihn voller Kraft,
Zermalmt des Greises Haupt, die Fliege zu verjagen,
Und hat – ein guter Schütz, allein höchst mangelhaft
Als Denker – auf der Stell' ihn mausetot geschlagen.

Nichts bringt so viel Gefahr uns als ein dummer Freund;
Weit besser ist ein kluger Feind


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