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14. Das Leichenbegängnis der Löwin

Des Löwen Gattin starb; zur Stell'
Eilt jeder hin, um möglichst schnell
Sich vor dem Fürsten zu entled'gen
Der Beileidsförmlichkeit, die bei 'nem Trauerfall
Stets mehr gilt als die Trauer all'.
Er kündete durch einen gnäd'gen
Befehl dem Lande Zeit und Ort
Der Leichenfeier an: Marschälle seien dort,
Das Fest zu ordnen und den Kreisen
Der Gäste Plätze anzuweisen.
Wohl keiner fehlt'. Aufbrüllt alsbald
Der Fürst, daß von des Tons Gewalt
Die ganze Höhle widerhallt –
Der Leu hat keine andre Halle.
Nach seinem Beispiel fangen alle
Die Herren Höflinge zu heulen an sogleich.

Der Hof scheint mir ein Land, wo heiter, ernst, hart, weich
Zu allem stets bereit, weil jedem alles gleich,
Kurz, was der Fürst befiehlt, man ist; kann man's nicht schaffen,
Sucht man die Form doch abzugaffen.
Ein rein Chamäleon-Volk, nichts als des Herren Affen,
Tausend Körper, belebt von einem Geiste bloß,
Sind dort die Menschen, nur Drahtpuppen, willenlos.

Doch wieder jetzt zu unsern Sachen!
Der Hirsch nur weinte nicht. Wie sollt' er's auch wohl machen?
Rache war dieser Tod für ihn: die Königin
Würgt' einst ihm Weib und Kind dahin.
Genug, er weinte nicht. Ein Schelm, stark im Verdrehen,
Sagt gleich, er hab' ihn lachen sehen.
Der Zorn des Königs – sagt der weise Salomon
Ist schrecklich, und zumal des Löwen auf dem Thron.
Doch mocht's bei unserm Hirsch wohl schlecht ums Lesen stehen.
Der König herrscht ihn an: Elender Waldeswicht,
Du lachst? Es rühren dich des Seufzens Töne nicht?
Nicht unsre heil'ge Klau' berühr' deine profanen
Gliedmaßen! Wölfe, kommt herbei:
Die Kön'gin rächt; geopfert sei
Der Schuft ihren erhabnen Manen!«
Der Hirsch erwidert drauf: »O Herr, des Weinens Frist
Ist jetzt vorbei; zu nichts kann hier der Schmerz noch dienen.
Eu'r selig Ehgemahl, ruhend auf Blumen, ist
Nah' dieser Stätte mir erschienen –
Ich kannt' sie gleich an ihren Mienen.
»Freund« sprach sie »sorge, daß beim Leichenfest, wann mich
Der Götter Gruß empfängt, nicht deine Träne fließe,
Da tausend Wonnen in Elysium ich genieße
Mit denen im Verkehr, die Heil'ge sind wie ich.
Der König, so will ich's, ergeb' einstweilen sich
Dem Schmerz!« Kaum hört das Wort man, das leichtfertig lose,
Gleich schallt es ringsumher: »Wunder! Apotheose!«
Der Hirsch strich ein Geschenk, statt aller Strafen, ein.

Bereite Königen Vergnügen
Durch Träume, Schmeichelein, durch angenehme Lügen.
Wie zornig sie auch sind: der Köder ist zu fein,
Sie beißen sicher an; stets wirst ihr Freund du sein.


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