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16. Die ertrunkene Frau

»Was liegt daran?« so spricht wohl mancher, der es hört
»Es ist ein Weib, das sich ertränkt hat!«
Ich sag' im Gegenteil: sehr unsres Mitleids wert
Ist dies Geschlecht, das uns nur Glück und Lust geschenkt hat.
Nicht ohne Grund sprech' ich es aus; die Fabel soll
Von einem Weib euch Kunde geben,
Die in den Fluten unheilvoll
Durch ein beklagenswert Geschick verlor ihr Leben.
Es sucht ihr Mann den Leichnam auf,
Um ihn, wie es die Pflicht des Gatten,
Mit allen Ehren zu bestatten.
Nun gingen an des Flusses Lauf,
Durch den das Unglück war geschehen,
Viel Leute, die noch nichts vernommen von dem Fall.
Der traur'ge Witwer fragt sie all',
Ob sie denn keine Spur von seiner Frau gesehen,
»Nein« sagt der eine »doch sucht weiter unten nur
Und folgt dem Laufe der Gewässer.«
Ein andrer aber spricht: »Nein, folgt nicht dieser Spur;
Stromaufwärts sucht, das scheint mir besser!
Nach welcher Richtung auch – glaubt mir, das steht ganz fest –
Des Wassers Strom und Fall sie leite,
Der Geist des Wiederspruches läßt
Sie treiben nach der andern Seite.«
Der Scherz des Mannes war nicht übermäßig fein.
Was er vom Hang zum Widersprechen
Gesagt – vielleicht mag's richtig sein;
Doch sei es nun, ob ja ob nein,
Der Frauen Neigung und Gebrechen:
Wer 'mal damit geboren war,
Stirbt auch damit ganz unfehlbar;
Er streitet bis zum Tod – sogar,
Wenn's geht, auch nachher, das ist klar.


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