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8. Das Pferd und der Wolf

Ein Wolf, in jener Zeit, wann lau
Durch das verjüngte Grün die Frühlingslüfte wehen
Und fröhlich jedes Tier auskriecht aus seinem Bau,
Um seiner Nahrung nachzugehen –
Ein Wolf also, befreit von Winters strengem Zwang,
Bemerkt ein Pferd, das man geschickt auf Weidegang.
Man denke sich, wie er sich freute!
»Ein Fang!« sprach er »Hätt' ich dich zwischen dem Gebiß!
Warum bist du kein Schaf? Dann wärst du mir gewiß,
Indes uns Schlauheit jetzt nottut für diese Beute.
Sei'n schlau wir!« Spricht's und kommt gemeßnen Schritts herbei
Und nennt sich Hippokratens Jünger,
Dem dieses Grüns Heilkraft und sonst noch mancherlei
Bekannt auf das genau'ste sei;
Der jedes Übel, ob geringer
Ob größer, heilen könnt'. Auch Herrn von Gaul, wofern
Er ihm nur sagte, wo er leide,
Heilt' er, der Wolf, umsonst recht gern;
Denn also lose auf der Weide
Umherzugehn, das spräche für
Irgend ein heimlich Leid nach aller Heilkunst Regeln.
Das Rößlein spricht: »Unter den Nägeln
Des Hufes hab' ich ein Geschwür.«
Der Doktor drauf: »Mein Sohn, die Stell' ist sehr empfindlich
Und manchen Leiden ausgesetzt;
Als Arzt behandle ich die Herren Gäule jetzt
Und operier' auch schnell und gründlich.«
Der arge Schelm wünscht nur den Augenblick herbei,
Um seinen Kranken anzupacken;
Der, voll Argwohn, versetzt 'nen Schlag ihm mit dem Hacken,
Der ihm die Zähn' und die Kinnbacken
Sogleich zerschlägt zu Mus und Brei.
»Recht war's!« sagt nun der Wolf zu sich mit traur'gem Lachen
»Es bleibe doch allzeit ein jeder, was er ist!
Du wolltest hier den Gärtner machen,
Da du doch nur ein Schlächter bist.«


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