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9. Der Hirsch, der sich im Wasser spiegelt

Ein Hirsch, der sich in eines Quelles
Kristall beschaut, war voll vom Preis
Der Schönheit seines Hauptgeweihs;
Doch schämt er sich des Fußgestelles,
Das ihm wie Spindeln dürr beinah
Erschien, als er sein Bild im Wasserspiegel sah.
»Welch ein Verhältnis, wenn ich Fuß und Haupt vergleiche!«
Spricht er, voll Unmut sich betrachtend »In der Tat,
Wenn mit der Stirn ich an der Bäume Kronen reiche,
Mein Fuß gereicht mir nicht zum Staat!«
Während er so spricht, ergreift er
Vor 'nem Spürhund schnell die Flucht;
Durch den Wald, wo Schutz er sucht,
Durch Gebüsch und Hecken streift er.
Doch sein Geweih hält ihn im Lauf –
Ein arger Schmuck! – fortwährend auf
Und hindert seinen Fuß am meisten,
Ihm Lebensretterdienst zu leisten.
Da widerruft er, und verwünscht die Gabe, die
Der Himmel jährlich ihm verlieh.

Man schätzt das Schön', indem wir Nützliches mißachten –
Schönheit führt oft Gefahr herbei.
Die Füße schmäht der Hirsch, die doch behend ihn machten,
Und preist sein schädliches Geweih.


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