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Zehntes Buch

1. Die beiden Ratten, der Fuchs und das Ei

Eine Betrachtung, der Frau de la Sablière gewidmet

Iris, dich pries' ich gern – 's ist gar zu leicht; doch freut,
Ich weiß, es nimmer dich, wenn Weihrauch man dir streut.
Du gleichst nicht andern Fraun, die jenem Götzen fröhnen
Und wünschen, täglich möcht' aufs neu' ihr Lob ertönen;
In süße Träume wiegt der Schmeichelton sie meist.
Ich schelt' sie nicht darob, gern mag ich solchen Geist:
Die Götter haben ihn, die Fürsten und die Schönen.
Jener Trank, den so gern das Volk der Dichter preist,
Der Nektar, welchen Zeus schlürft am olymp'schen Herde,
Und der so leicht berauscht die Götter dieser Erde,
Iris, es ist das Lob. Du machst dir nichts daraus,
Und seinen Platz füllst du mit andern Dingen aus:
Gesprächen, heitern Sinns Entfaltung,
Wo Zufall reichen Stoff dir bringt zur Unterhaltung;
Es wird, wenn man's mit dir bespricht,
Oft selbst das Kleinste groß. Die Welt zwar glaubt es nicht;
Doch laß die Welt und ihren Glauben!
Wissenschaft, Torheit, saure Trauben,
Das Kleinste, selbst das Nichts ist gut. Ich sag', daß man
Gut über alles sprechen kann;
Es ist ein Blumenbeet, wo dann und wann
Auf mancher Blüte sich's ein Bienchen läßt gefallen,
Und Honig sauget sie aus allen.
Dieses vorausgeschickt, findst du es wohl am Platz,
Wenn diesen Fabeln ich versuche manchen Satz
Aus einer feinen, kühnen, frischen
Philosophie jetzt beizumischen.
Man nennt sie neu; hast du wohl schon von ihr gehört?
Ich weiß es nicht. Sie also lehrt:
Das Tier ist nichts als 'ne Maschine,
Die alles ohne Wahl tut, nur durch Federkraft;
Nicht Seele noch Gefühl, alles ist körperhaft;
'ne Uhr, die, ohne daß ihr diene
Plan und Bewußtsein, blind sich gleichen Schritts bewegt.
Öffne sie, schau, was drin sich regt:
Statt des Weltgeistes, sieh, wie Rad an Rad sich reihte;
Das erste Rad bewegt das zweite,
Dem folgt das dritte nach, bis endlich dann sie schlägt,
Genau so ist das Tier, wie jene Leute sagen:
Von außen wird ein Teil bewegt;
Dann wird der Stoß, der auf ihn schlägt,
Von dem erregten Teil zum nächsten fortgetragen;
So wird von Teil zu Teil zuletzt der Sinn erregt,
Und der Eindruck ist da. Doch wie? wirst nun du fragen.
Nach Jenen: durch des Stoßes Kraft,
Willenlos, ohne Leidenschaft.
Das Tier fühlt ganz unzweifelhaft
Regungen, die das Volk sonst Liebe,
Lust, Freude, Traurigkeit, grausame Schmerzenstriebe
Nennt, oder ähnlich andres noch.
Doch täusche man sich nicht: es ist ganz anders doch!
Was ist's? 'ne Uhr. Und wir? Das ist 'ne andre Sache!
Nun höre, wie Descartes das Ding zurecht sich mache –
Descartes, der Sterbliche, der für die Heidenwelt
Ein Gott gewesen wär'! Die Mitte hält
Er zwischen Mensch und Geist; so etwa hält noch heute
Zwischen Auster und Mensch sie mancher unsrer Leute.
Merk' auf denn, also schließt der Weise von Beruf:
Vor allen Wesen, die der Herr der Welt erschuf,
Ward mir des Denkens Kraft; und ich weiß, daß ich denke.
Folg', Iris, mir, wenn auf Bekanntes ich dich lenke:
Läg' Denken in des Tieres Macht,
Es hätt' doch nimmer nachgedacht
Dem Gegenstand und dem Gedanken.
Descartes geht weiter noch, der zu behaupten wagt,
Dem Tier sei Denken ganz versagt.
Du glaubst es auch, ohne zu schwanken,
Ich ebenfalls. Und doch, wenn Hörnerklang im Wald
Und das Gebell der Rüden schallt
Und keine Ruhe gönnt der mattgehetzten Beute;
Wenn dann umsonst das Wild gelockt
Auf eine falsche Spur die Meute,
Dann schiebt der alte Hirsch, dem schon der Atem stockt,
'nen jüngern vor und weiß ihn mit Gewalt zu zwingen,
Als neuer Köder für die Hunde einzuspringen.
Wie viel Berechnung, wenn's des Lebens Rettung gilt!
Rückzug, Trug, Neckerei, Tausch mit dem andern Wild,
Die hundert Kriegeslisten wären
Der größten Feldherrn und 'nes bessern Loses wert.
Nach seinem Tod wird er verzehrt;
Das sind all' seine höchsten Ehren.

Es sieht in Not,
Vom Tod bedroht
Das Rebhuhn seine Brut, die durch ihr neu Gefieder
Zum Flug unfähig, fest gebannt ist an die Flur.
Da stellt's verwundet sich, es hängt den Flügel nieder
Und lockt den Jäger und den Hund auf seine Spur;
So wendet's die Gefahr von seiner Brut. Schon freute
Der Jäger sich und meint, es sei des Hundes Beute;
Da rauscht's ihm Lebewohl, fliegt lustig auf und lacht
Des Menschen, der da steht und große Augen macht.

Am Nordpol soll ein Land es geben
Wo noch ganz in Unwissenheit,
Wie in der allerersten Zeit,
In Geistesnacht die Leute leben.
Von Menschen red' ich; denn die Tiere baun dort auf
Schutzwehre, bändigend den Lauf
Geschwollner Ström' und der Verheerung grause Schrecken,
Und die von einem Strand zum andern sich erstrecken.
Fest steht der Bau und wankt auf seinem Grunde nicht;
Auf eine Schicht von Holz folgt eine Mörtelschicht;
Ein jeder Biber schafft mit an dem Werk; die Alten
Sind stets bemüht, zum Fleiß die Jungen anzuhalten,
Die Meister lehren sie mit Streng' und mit Geschick.
Ja, Platos ganze Republik
Müßt' als ein Lehrling nur erscheinen
Dieses Amphibienstaats im kleinen.
Im Winter richten sie ihr Haus und gehn von dort
Über die Teich' auf Brücken fort
Kunstvollen Baus, leicht zu erklimmen.
Und unsresgleichen? – Angesichts
Der Werke all' können sie nichts
Als höchstens übers Wasser schwimmen.
Daß diese Biber nur geistlose Körper sei'n,
Das glaub' ich nimmermehr, wie ich auch nie verhehlte.
Allein noch mehr: mir fällt eine Geschichte ein,
Die ein ruhmreicher Fürst erzählte.
Des Nordens Schützer ist mein Bürg'; ich habe sie
Von einem Helden, den Viktoria sich erwählte,
Vor seinem Namen bebt die türk'sche Despotie;
Ja, Polens König ist's – ein König log noch nie.
Er sagt uns, daß an seinen Grenzen
Unter gewissem Vieh ein ew'ger Krieg besteht;
Das Blut, das stets von Ahn auf Kinder übergeht,
Mag immer neu den Stoff ergänzen.
Die Tiere, sagt er, sind von Reinekes Geschlecht;
Nie sei ein Krieg so kunstgerecht
Geführt von Menschen – was mich wundert –
Selbst nicht in unserem Jahrhundert.
Vorhut und Nachtrab, wie Spione, Hinterhalt,
Schildwachen, und was noch als Brauch im Felde galt,
Was die verwünschte Kunst erfind' und spekuliere –
Tochter des Styx und die Gebärerin
Der Helden – übt der kluge Sinn
Und die Erfahrung dieser Tiere.
Den Kampf zu singen, müßt' Homer vom Schattenreich
Erstehn. Ach, könnt' mit ihm zugleich
Des großen Epikur Genoss' uns wiederkehren!
Was schlösse der wohl aus meinen Beispielen dann?
Daß in den Tieren die Natur – würd' er uns lehren –
Nur durch die Federkraft dies alles wirken kann;
Daß nur 'ne körperliche Gabe
Gedächtnis sei, und daß, zu leisten alles dies,
Worauf als Beispiel ich verwies,
Das Tier nichts weiter nötig habe.
Kehrt wieder dann das Ding, dann sucht's auf gleiche Art
Das Bild hervor, das es verwahrt
In seinem großen Vorratsschranke,
Das gleichfalls wiederkehrt und ganz unzweifelhaft,
Ohne daß tätig der Gedanke
Mithelfe, gleiche Wirkung schafft.
Bei uns ist's anders: Willenskraft
Ist es, was uns zum Handeln treibe,
Kein Ding und kein Instinkt. Ich gehe, spreche, schreibe,
Stets fühl' ich etwas, das mich trieb;
Alles gehorcht an meinem Leibe
Diesem bewußten Urprinzip.
Nicht Körper ist's: es weiß sich selbst; mehr als ihm lieb
Folgt oft der Körper ihm, dem Hüter
Und unsrer Regungen alloberstem Gebieter.
Doch wie der Körper es versteht?
Das ist der Punkt. Das Werkzeug, seht,
Gehorcht der Hand. – Ganz gut! Allein, wer lenkt die Hände? –
Wer lenkt die Himmel, wer der Sterne Lauf ohn' Ende?
Vielleicht ein Engel, der in den Weltkörpern schwebt!
Es wohnt ein Geist in uns, der unsre Kraft belebt.
Die Wirkung fühl' ich; doch die Ursach' zu erkennen
Vermag nur, wer im Schoß der Gottheit sie geschaut;
Und, soll ich ehrlich sein, behaupt' ich ernst und laut:
Descartes wußt' sie auch nicht zu nennen.
Hierin sind er und wir ganz in demselben Fall.
Doch Iris, was ich weiß, ist: in den Tieren all'
Die ich anführte als Exempel,
Wirkt nimmer jener Geist; der Mensch nur ist sein Tempel.
Gleichwohl hat unleugbar das Tier ein Element,
Das an der Pflanze man nicht kennt;
Dennoch hat auch die Pflanze Leben.
Doch welche Antwort wird auf folgendes man geben?
Zwei Ratten suchten Fraß, da fanden sie ein Ei.
Für solches Volk mag das als Mahlzeit wohl genügen;
Es ist nicht nötig, daß es gleich ein Ochse sei.
Voll Eßlust und mit viel Vergnügen
Gingen sie dran, ihr Ei zu teilen; da erschien
Plötzlich jemand. Wer war's? Reineke nennt man ihn.
Den beiden mocht' die Lust wohl schwinden!
Es mit vereinter Kraft fortschleppen, es mit Hast,
Wie rettet man das Ei? – Einpacken und als Last
Wegrollen oder ziehn, war fast
Unmöglich, die Gefahr auch schwer zu überwinden.
Doch Not lehrt beten und erfinden;
Das Paar hat was von ihr gelernt:
Da der Schmarotzer noch ein gutes Stück entfernt
Und ihre Wohnung nah, legt eine für die ganze
Strecke sich rücklings hin, nimmt fest auf ihren Bauch
Das Ei; trotz ein'ger Stöß' an Wurzel, Stein und Strauch
Zieht fort die andre sie am Schwanze.
Und nun soll einer mir noch kommen, der beweist,
Die Tiere hätten keinen Geist!

Ich würd' als Schöpfer ihnen schenken
So viel, als etwa man bei Kindern finden kann.
Denken die Kinder nicht von frühster Jugend an?
Ohne Selbstkenntnis auch kann, wie wir sehn, man denken.
Um es an einem Beispiel hier
Zu zeigen, würde ich dem Tier
Nicht grade 'ne Vernunft, ganz wie die unsre, geben,
Indes doch etwas mehr als blinde Federkraft:
Ein Stück Materie, so verflüchtigt, daß man's eben
Noch kaum wahrnehmen kann, äther-atomenhaft,
Des Lichtes Quintessenz, ein Etwas, das mehr Leben
Hab' und beweglicher noch als das Feuer sei.
Die Flamme wird durch Holz erzeugt; und gibt die Flamme,
Sich läuternd von dem Stoff, der innewohnt dem Stamme,
Ein Bild der Seel' uns nicht? Sehn wir nicht Gold aus Blei
Hervorgehn? Mein Geschöpf würd' ich drum so einrichten,
Daß es empfinden könnt' und schließen – mehr mitnichten –
Das Schließen auch nur mangelhaft;
Dem Affen bliebe stets versagt des Denkens Kraft.
Uns Menschen würd' ein Los ich geben,
Ein vielfach besseres; ich stattete von Haus
Gleich mit zwiefachem Schatz uns aus:
'ner Seele erst, wie die, mit der wir alle leben,
Klug, weise, dumm, an Torheit reich,
Des Weltalls Bürger, und darin den Tieren gleich;
'ner andern Seele dann, die sollt' uns nahe bringen
Den Engeln in gewissem Sinn;
Zu den himmlischen Scharen hin
Müßt' diese Seel' empor sich durch die Lüfte schwingen;
Sie käm' uns später erst, nicht gleich von Anbeginn,
Doch ew'ge Dauer wär' ihr sicherer Gewinn.
's ist Ernst, mag's sonderbar auch klingen.
Solang' wir in der Kindheit sind,
Lebte und leuchtete in uns dies Himmelskind
Mit zartem nur und schwachem Scheine.
Wir wachsen; mehr und mehr über den Stoff gewinnt
Den Sieg die Seele, diese feine,
Bis endlich ganz vor ihr zerrinnt
Die andre grobe und gemeine.


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