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13. Tircis und Amarant

Für Fräulein von Sillery

Ich verließ Äsop, auf daß
Mich Boccaccio ganz erfülle;
Doch es ist auf dem Parnaß
Wieder einer Gottheit Wille,
Fabeln meiner Art zu sehn.
Nun, ihr einfach widerstehn
Ohne triftige Entschuld'gung,
Wäre eine schlechte Huld'gung,
Einer Göttin dargebracht,
Welche durch der Schönheit stillen
Zauber über jeden Willen
Herrscht mit unumschränkter Macht.
Denn – ich sag' es unverhohlen –
Sillery hat anbefohlen,
Daß bei mir von Neuem flugs
Meister Rab' und Meister Fuchs
In gereimter Sprache reden.
Sillery – genug weiß man:
In der Schätzung eines jeden
Steht ihr Name obenan.
Wie hätt' ich's nicht unternommen?

Doch, zur Sache jetzt zu kommen:
Meine Fabeln, meinte sie,
Sind unklar und dort und hie
Manchem Schöngeist unverständlich.
Dichten drum wir ein'ge, die
Ohne Kommentar auch kenntlich!
Führen wir Hirten vor, und reimen unverzagt
Wir ganz gemütlich dann, was Wolf und Schaf gesagt.

Zur jungen Amarant sprach Tircis einst: »Beglücken
Würd's mich, ach! kenntest du wie ich doch jenes Leid,
Das Leid voll Lust und voll Entzücken –
Nicht seinesgleichen gibt's auf Erden weit und breit!
Erlaube mir, daß ich's dir sage,
Und Furcht und Zweifel sei verbannt;
Könnt' ich dich täuschen, dich, der ich im Busen trage
Das zärtlichste Gefühl, das je ein Herz empfand?«
Sofort stellt Amarant die Frage:
»Wie nennst du dieses Leid? Wie heißt es? Sag' mir's an!«
»»Die Liebe.«« »Schönes Wort! Woran soll ich's erkennen?
Beschreib' es mir, mein Freund; sag', was empfindet man?«
»»Süße Pein, neben der nur fad' und wüst zu nennen
Der Kön'ge Lust: sich selbst vergißt man, fühlt allein
Ganz selig sich im stillen Hain.
Schaun wir uns in des Baches Welle,
So sehn wir, nicht uns selbst, ein Bild nur, klar und helle,
Das stets uns wiederkehrt, wo immer wir auch sind;
Für alles andre sind wir blind.
Ein Hirt ist's, dessen Nah'n zur Stelle,
Des Stimme, dessen Nam' uns gleich erröten macht;
Wir seufzen, wenn wir sein gedacht.
Wir wissen nicht, warum wir seufzend nach ihm trachten;
Wir fürchten ihn zu sehn, indes wir nach ihm schmachten.««
Sogleich erwidert Amarant:
»Ah! So? Das ist das Leid, das du so süß genannt:
Das ist mir nicht mehr neu, ich glaub' es wohl zu kennen.«
Tircis glaubt schon, sie sein zu nennen;
Da fährt die Schöne fort: »Genau dasselb' empfand
Ich lange schon für Clidamant
Er meinte vor Verdruß, vor Gram und Scham zu sterben.

Wie er hat mancher wohl im Sinn,
Für eignen Vorteil nur zu handeln und zu werben,
Und schafft bloß anderen Gewinn.


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