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Fünftes Buch

1. Der Holzhauer und Merkur

Dem Herrn Grafen von B.

Immer hat ihr Geschmack die Richtung mir gegeben,
Und seinem Beifall galt mein dichterisches Streben.
Sie meinen, daß die Müh' kleinlicher Künstelei,
Die eitler Zier nur frönt, wohl zu vermeiden sei.
Ich meine ganz wie Sie: mit so gesuchten Sachen
Verpfuscht der Dichter, was er gar zu gut will machen.
Ein Zug von Feinheit darf nicht fehlen dem Gedicht;
Sie lieben das, und ich, ich hass' es wahrlich nicht.
Das Ziel, das sich Äsop gesteckt hat, zu erreichen
Such' ich, so gut ich immer kann;
Scheint dennoch mein Gedicht nicht hübsch und lehrreich, dann
Liegt's nicht an mir, dann – ja, dann – tut's halt nicht dergleichen.
Niemals hab' ich Gewalt und Macht
Zu meines Strebens Ziel gemacht;
Da ich das Laster mit herkulischer Kraft des Gottes
Nicht schlagen kann, mach' ich's zum Gegenstand des Spottes.
Das ist all' mein Talent; ob's ausreicht, weiß ich nicht.
So schildre bald ich im Gedicht
Törichte Eitelkeit gepaart mit scheelem Neide,
Für unsre heut'ge Welt zwei Angelpunkte beide:
Da ist das klein armsel'ge Tier,
Das gerne groß sein wollt' wie der gewalt'ge Stier.
Oft durch ein Doppelbild zeig' ich im Widerspruche
Laster und Tugend, Weis' und Narren wundersam,
Den Räuber Wolf, das fromme Lamm,
Ameis' und Flieg'; und so mach' ich aus diesem Buche
Ein großes Lustspiel, das wohl hundert Akt' enthält,
Sein Schauplatz ist die ganze Welt.
Mensch, Gott, Tier, jeder muß 'ne Rolle übernehmen,
Zeus wie ein anderer. Führen wir jenen ein,
Der für die Schönre schwärmt und spielt den Angenehmen! –
Doch von dergleichen soll heut nicht die Rede sein.

'nem Holzhauer kam einst sein Werkzeug fort,
Die Axt; umsonst sucht er sie hier und dort.
Sein jammervolles Klagen wollt' nicht enden,
Er hatte keine zweite zu versenden!
Auf sie war all sein Hab' und Gut gestellt,
Nun hat er nichts zu hoffen in der Welt.
In Tränen ganz gebadet seine Wangen:
»Mein Beil! Mein armes Beil!« so rief mit Bangen
Er aus »O Zeus! Ach, schaff' es wieder mir!
Ich will's auch ehren als Geschenk von dir!«
Sein Klagen drang zu der Olympier Ohren.
Merkurius kommt: »Dein Beil ist nicht verloren«
Sagt ihm der Gott »Kennst du's von Angesicht?
Ich glaub', ich hab's nicht weit von hier gefunden.«
Er zeigt dem Mann ein goldnes; unumwunden
Entgegnet der: »So eins begehr' ich nicht.«
Drauf wird ein silbernes ihm vorgehalten;
Er lehnt es ab. Zuletzt von Holze eins.
»Ja, seht ihr« ruft der Brave »das ist meins;
Ich bin zufrieden, darf ich dies behalten.«
»»Da«« sagt der Gott »»nimm alle drei für eins!
Die Ehrlichkeit soll ihren Lohn bekommen.««
»In diesem Fall« spricht er »nehm' ich sie gern.«
Bald ward die Märe weit und breit vernommen;
Sein Beil verlor nun mancher, nah und fern,
Der um Ersatz den Himmel mocht' beschwören,
Kaum weiß der Götterkönig, wen erhören.
Da naht sein Sohn Merkur dem Schreierchor,
Und eins von Golde zeigt er jedem vor.
Nun fürchtet jeder gleich für einen Toren
Zu gelten, spräch' er nicht: »Ja, das ist meins!«
Allein Merkur gab ihnen nicht nur keins,
Sondern noch eine tücht'ge um die Ohren.

Stets wahr und immerdar zufrieden sein,
Das ist das sicherste; doch läßt auf Lügen
Sich mancher um des Vorteils willen ein.
Wozu? Zeus läßt sich nimmermehr betrügen.


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