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6. Die Wünsche

In Indien gibt's Kobolde, die
Dem Menschen dienstbar sind, da sie
Das Haus rein halten und die Wirtschaft sorglich hegen,
Bisweilen auch den Garten pflegen.
Doch stört man sie auf ihren Wegen,
Ist alles aus. Im Dienst 'nes biedern Wirtes stand
Ein solcher Kobold einst, nah an des Ganges Strand.
Er schaffte still, indem gewandt den Dienst er übte,
Den Herrn und seine Herrin liebte,
Den Garten doch zumeist. Waren's Zephire nun,
Der Geister Freunde, die sein Tagwerk mit verrichtet:
Genug, der Kobold hat zu freud'gem Dank verpflichtet
Die Herrschaft durch sein rastlos Tun.
Um seinen Eifer recht zu zeigen,
Hielt bei den Leuten er gern aus für alle Zeit
Trotz Leichtsinn und Beweglichkeit,
Wie Geistern seiner Art sie eigen;
Doch ihm zum Leid bewirkten jetzt
Seine Kollegen, daß das Haupt des Geisterstaates
Aus Laun' oder aus klugen Rates
Rücksicht ihn weit von dort versetzt.
Befehl erhielt er, tief nach Norwegen zu gehen
Und in ein Haus, das Tag und Nacht
Bedeckt von ew'gen Schnee's Wehen;
Aus einem Hindu ward zum Lappen er gemacht.
Vorm Abschied hub er an zur Herrschaft so zu sprechen:
»Ihr Guten, ich muß von euch fort;
Zwar weiß ich nicht, für welch Verbrechen,
Allein ich muß. Nicht lang' mehr bleib' ich hier am Ort,
Höchstens 'nen Monat noch, vielleicht nur wen'ge Tage.
Benutzt die Zeit: sinnt auf drei Wünsche, da ich dann
Drei Wünsche euch erfüllen kann;
Nicht mehr als drei.« Wünschen soll grade keine Plage
Den Menschen und nichts Neues sein.
Reichtum war's, was die zwei als ersten Wunsch erfaßten;
In Hüll' und Fülle strömt hinein
Des Goldes Glanz in ihre Kasten,
Korn in die Scheuern, in die Keller edler Wein.
Doch diese Massen all' zu ordnen, welche Lasten!
Buchhalten, wieviel Zeit! Verwalten, welche Müh'!
So waren niemals sie abgehetzt spät und früh.
Die Diebe machten ihnen Sorgen,
Die großen Herrn kamen zu borgen,
Der Fürst besteuert sie. Unglücklich ist das Paar
Des übergroßen Reichtums wegen.
»Befrei' vom Überfluß uns, von dem läst'gen Segen!«
Riefen die zwei »Glücklich die Dürftigen fürwahr!
Armut ist besser noch als solchen Reichtums Fülle.
Fort, Schätze, weg mit euch! Und du, der Gott, der stille
Schützer gesunden Sinns, des innern Friedens Hort,
Du goldner Mittelstand, kehr' wieder!« Bei dem Wort
Kam er und ward dem Paar zum zweitenmal beschieden,
Und wieder wurden sie zufrieden.
Nach diesem zweiten Wunsch waren so glücklich sie
Wie vorher, und wie alle die
Sind, die mit Wünschen nur und eitlen Phantasieen
Die Zeit vergeuden, die sie ernstem Tun entziehen.
Der Kobold lächelt über sie.
Damit's doch etwas von ihm habe,
Eh' in die Fern' er sich empor zum Fluge schwingt,
Erfleht das Paar der Weisheit Gabe;
Das ist ein Schatz, der nimmer Sorge bringt.


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