Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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172. Der kluge Landmann und sein Pferd

Einem Bauersmanne wurde zu Nacht sein schönstes Pferd aus dem Stalle gestohlen. Er reiste fünfzehn Stunden weit auf einen Pferdemarkt, ein anderes zu kaufen. Aber sieh – unter den feilen Pferden auf dem Markte erblickte er auch sein Pferd. Er ergriff es sogleich bei dem Zügel und schrie laut: Der Gaul ist mein! Vor drei Tagen wurde er mir gestohlen.

Der Mann, der das Pferd feil hatte, sagte sehr höflich: Ihr seid unrecht daran, lieber Freund. Ich habe das Roß schon über ein Jahr. Es ist nicht Euer Roß, es sieht ihm nur gleich. – Der Bauer hielt dem Pferde geschwind mit beiden Händen die Augen zu und rief: Nun, wenn Ihr den Gaul schon lange habt, so sagt, auf welchem Auge ist er blind? Der Mann, der das Pferd wirklich gestohlen, aber noch nicht so genau betrachtet hatte, erschrak, weil er indes doch etwas sagen mußte, so sagte er auf Geratewohl: Auf dem linken Auge. – Ihr habt es nicht getroffen, sagte der Bauer, auf dem linken Auge ist das Tier nicht blind. – Ach, rief jetzt der Mann, ich habe mich nur versprochen! Auf dem rechten Auge ist es blind.

Nun deckte der Bauer die Augen des Pferdes wieder auf und rief: Jetzt ist es klar, daß du ein Dieb und Lügner bist. Da sehet alle her, der Gaul ist gar nicht blind. Ich fragte nur so, um den Diebstahl an den Tag zu bringen. – Die Leute, die umherstanden, lachten, klatschten in die Hände und riefen: Ertappt, ertappt! – Der Roßdieb mußte das Pferd wieder zurück geben und wurde zur verdienten Strafe gezogen.

So schlau und fein ein Dieb auch ist,
Er stößt einmal auf größre List.


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