Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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10. Die Erdbeeren

1.

Ein alter Soldat mit einem Stelzfuße kam in ein Dorf und wurde plötzlich krank. Er konnte nicht mehr weiter reisen, mußte in einer Scheuer auf Stroh liegen und es ging ihm sehr hart. Die kleine Agathe, die Tochter eines armen Korbmachers, hatte mit dem kranken Manne das herzlichste Mitleid. Sie besuchte ihn alle Tage, und schenkte ihm jedesmal einen Sechser. – Eines Abends sprach aber der ehrliche Krieger sehr bekümmert: Liebes Kind! wie ich heute vernahm, sind deine Eltern arm. Sage mir doch redlich, woher nimmst du so viel Geld? Denn ich wollte lieber verhungern, als nur einen Kreuzer annehmen, den du mir nicht mit gutem Gewissen geben könntest. – O, sagte Agathe, seid außer Sorgen. Das Geld ist rechtmäßig erworben. Ich gehe in den nächsten Marktflecken zur Schule. Auf dem Wege dahin kommt man durch ein Wäldchen, wo es viele Erdbeeren gibt. Da pflücke ich nun jedesmal ein Körblein voll, verkaufe sie in dem Flecken, und bekomme dafür allemal sechs Kreuzer. Meine Eltern wissen das wohl; sie haben aber nichts dagegen. Sie sagen öfters: Es gibt noch viel ärmere Leute, als wir sind, und da müssen wir ihnen so viel Gutes tun, als unsere Lage nur immer erlaubt. – Dem alten Krieger standen die hellen Tränen in den Augen und tröpfelten auf seinen Schnurrbart herab. Gutes Kind, sprach er, Gott wolle dich und deine Eltern für diese menschenfreundlichen Gesinnungen segnen!

Fehlt dir es nicht an gutem Willen,
So kannst du vielen Jammer stillen.

2.

Nach einiger Zeit reiste ein vornehmer Offizier, der mehrere Ordenszeichen trug, durch das Dorf. Er hielt mit seinem prächtigen Wagen vor dem Wirtshause an, um die Pferde füttern zu lassen, hörte von dem kranken Soldaten und besuchte ihn. Der alte Soldat erzählte ihm sogleich von seiner kleinen Wohltäterin. – Was? rief der Offizier, ein armes Kind hat so viel für dich getan! Nun, da darf ich, dein alter General, nicht weniger tun. Ich werde sogleich Anstalt machen, daß man dich im Wirtshause aufs beste verpflege.

Er tat es und ging hierauf in die Hütte der kleinen Agathe. Gutes Kind, sprach er gerührt, deine Wohltätigkeit hat mir das Herz warm und die Augen naß gemacht. Du hast dem alten Kriegsmanne viele Sechskreuzerstücke geschenkt; hier hast du dafür ebensoviele Goldstücke.

Die erstaunten Eltern sagten: Ach, das ist zu viel! Allein der General sprach: Nein, nein! Dieses ist nur ein armseliger Lohn: den bessern hat das gute Kind im Himmel zu erwarten.

Barmherzigkeit und Wohltun werden
Belohnt im Himmel und auf Erden.


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