Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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146. Die fromme Schwester

Jakob und Anna waren einmal allein zu Hause. Da sagte Jakob zu Anna: Komm, wir wollen uns etwas Gutes zu essen suchen und es uns recht wohl schmecken lassen! – Anna sprach: wenn du mich an einen Ort hinführen kannst, wo es niemand sieht, so gehe ich mit dir. – Nun, sagte Jakob, so komm mit in das Milchkämmerlein; dort wollen wir eine Schüssel voll süßen Rahmes verzehren. – Anna sprach: Dort sieht es der Nachbar, der auf der Gasse Holz spaltet. – So komm mit mir in die Küche, sagte Jakob; in dem Küchenkasten steht ein Topf voll Honig. In diesem wollen wir unser Brot eintunken. – Anna sprach: Dort kann die Nachbarin hereinsehen, die an ihrem Fenster sitzt und spinnt. – So wollen wir drunten im Keller Aepfel essen, sagte Jakob. Dort ist es so stockfinster, daß uns gewiß niemand sieht. – Anna sprach: O mein lieber Jakob! Meinst du denn wirklich, daß uns dort niemand sehe? Weißt du nichts von jenem Auge dort oben, das die Mauern durchdringt und ins Dunkle sieht? – Jakob erschrak und sagte: Du hast recht, liebe Schwester! Gott sieht uns auch da, wo uns kein Menschenauge sehen kann, wir wollen daher nirgends Böses tun.

Anna freute sich, daß Jakob ihre Worte zu Herzen nahm und schenkte ihm ein schönes Bild; das Auge Gottes, von Strahlen umgeben, war darauf abgebildet und unten stand geschrieben:

Bedenke, Kind, daß, wo du bist,
Gott überall zugegen ist.


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