Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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69. Der Ziegenbock

Frau von Hill wohnte in einem schönen Hause vor der Stadt. Eines Morgens sprach sie zu ihrer Magd: Kreszenz, ich gehe jetzt in die Kirche! Wenn du über die Straße gehst, um Wasser zu holen, oder in den Garten, um Bohnen zu pflücken, schließe die Haustür zu. Ich habe dir das schon öfters befohlen und erwarte, daß du mir doch endlich einmal gehorchen wirst. Es könnte sich sonst leicht jemand in das Haus schleichen und Schaden anrichten. – Die Frau ging, Kreszenz räumte die Zimmer auf, ging dann zum Brunnen und ließ richtig wieder alle Türen offen stehen. Es ist die ganze Straße hinauf und hinab kein Mensch zu sehen, sagte sie, und lachte über die allzuängstliche Sorgfalt ihrer Frau. Allein während Kreszenz mit einer Magd am Brunnen plauderte, lief ein Ziegenbock zur Haustür hinein, sprang die Stiege hinauf und kam in das Zimmer der Frau. Dort hing in einem goldenen Rahmen ein großer Spiegel, der beinahe bis zum Boden des Zimmers herabreichte. Der Bock sah sich in dem Spiegel, meinte, es sei noch ein Bock da, stutzte und drohte ihm mit den Hörnern. Der Bock im Spiegel machte es auch so. Da sprang der rechte Bock plötzlich auf den eingebildeten los und stieß so gewaltig auf ihn zu, daß der Spiegel in tausend Stücke zerbrach.

Kreszenz kam mit dem Wasserkübel auf dem Kopfe eben zur Haustüre herein und hörte das Geklapper der Glasscherben, lief eilends in das Zimmer, sah das Unglück, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, und trieb den Bock mit vielen Streichen aus dem Hause. – Allein davon wurde der Spiegel nicht mehr ganz. – Als die Frau nach Hause kam, wurde die leichtsinnige Magd wegen ihres Ungehorsams fortgeschickt und bekam zu einigem Ersatz des angerichteten Schadens keinen Lohn. In ihrem neuen Dienste durfte man ihr es nicht mehr befehlen, die Tür zu schließen. Es traf nunmehr das Sprüchlein bei ihr zu:

Unachtsame Leute müssen
Oft den Leichtsinn teuer büßen.


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