Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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119. Das Uhrbändchen

Die Schülerinnen einer Strickschule beschlossen, einen Teil ihrer vorrätigen Arbeiten zum Besten der Armen verkaufen zu lassen. Eine Handelsfrau in der Stadt, die einen großen Kaufladen hatte, übernahm aus Menschenfreundlichkeit dieses Geschäft. – Adelgunde, eine sehr eitle Schülerin, die sich für eine Meisterin im Perlenstricken hielt, dachte: Nun kann ich es sicher und gewiß inne werden, wie hoch man meine Kunst schätzt. Meine Mitschülerinnen beneiden mich nur; selbst die Lehrerin ist mir nicht sehr geneigt. Allein die Handelsfrau weiß nicht, von wem die Arbeiten sind, und sagt mir also gewiß die Wahrheit. Sie ging in den Laden hin, zeigte auf ein ganz hübsches Uhrbändchen, das eine Mitschülerin gestrickt hatte und fragte, was es koste. – Dieses kann ich nicht anders lassen, sagte die Frau, als für eine Mark, – Und was kostet das hier? fragte Adelgunde weiter und zeigte auf ein noch schöneres, von einer andern Mitschülerin. – Das kostet eine Mark und fünfzig Pfennig, sagte die Frau. – Wie hoch kommt aber dieses zu stehen? fragte Adelgunde wieder, und zeigte auf eines, das sie selbst gestrickt hatte, und das sie für das allerschönste hielt. – Ach, das da! sagte die Frau; wenn Sie die andern zwei nehmen, so schenke ich Ihnen das in den Kauf. – Adelgunde konnte ihre Beschämung nicht verbergen; sie wurde glühend rot. Die Frau aber sagte: Ich merke nun wohl, daß Sie selbst dieses Bändchen gemacht haben. Ich bedaure sehr, daß es nicht besser geraten ist. Indessen kamen Sie doch nur hierher, die Wahrheit inne zu werden, und die habe ich Ihnen aufrichtig gesagt.

Ein eitles Herz läßt sich Von Schmeichelei betören,
Bescheidner Sinn will nichts Als lautre Wahrheit hören.


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