Christoph von Schmid
190 kleine Erzählungen für die Jugend
Christoph von Schmid

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149. Der Edelknabe

Ein Edelknabe, namens August, hatte in dem Vorzimmer des Königs die Nachtwache. Der König konnte nicht schlafen und klingelte, um sich ein Buch bringen zu lassen. Allein August war fest eingeschlafen, und hörte es nicht. Der König klingelte öfters und immer stärker; aber vergebens. Endlich kam er selbst aus seinem Schlafzimmer heraus in das Vorzimmer.

Der noch zarte Jüngling saß in tiefem Schlafe an einem Schreibtische, auf dem ein brennendes Kerzenlicht stand; ein Brief, den er noch nicht ganz zu Ende geschrieben hatte, lag vor ihm. Der König las den Brief, der so anfing: Liebste Mutter! Es ist heute bereits die dritte Nacht, daß ich für die andern Edelknaben die Nachtwache übernommen habe. Ich kann es beinahe nicht mehr aushalten. Aber wie freue ich mich, daß ich auf diese Art seit einigen Wochen her zehn Taler verdient habe. Ich schicke sie Ihnen, damit Sie in Ihren dürftigen Umständen einige Erquickung finden mögen. Diese kindliche Liebe gefiel dem Könige überaus wohl. Er holte eine Rolle Goldstücke, und steckte sie dem guten Sohne in seine Rocktasche. Der König war überzeugt, August werde das Geschenk seiner Mutter schicken, und begab sich wieder zur Ruhe. Als der Edelknabe erwachte und in seiner Tasche das Geld fand, merkte er wohl, wer ihn so reichlich beschenkt habe, sobald morgens der König aus seinem Schlafzimmer herauskam, fiel August ihm zu Füßen, dankte ihm für das reiche Geschenk und bat wegen seines Fehlers um Verzeihung. Der König lobte die kindliche Liebe des guten Sohnes, setzte von dieser Zeit an großes Zutrauen in ihn und beförderte ihn in der Folge zu hohen Ehrenstellen. August aber verwaltete die ihm anvertrauten Aemter aufs gewissenhafteste – aus frommer Ehrfurcht gegen Gott und treuer Anhänglichkeit an den König.

Die treue Lieb, womit ein Kind die Eltern ehrt,
Auch gegen Gott und König sich bewährt.


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